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Schicksal
22.10.2014

Wo ist mein Kind? Diese Mutter sucht seit 35 Jahren ihren Sohn

Und wenn er irgendwann vor ihrer Tür steht? Heidi Stein, hier in ihrem Bungalow in Niedersachsen, wünscht sich nichts mehr, als ihren Sohn wiederzusehen.
Foto: Kathrin Harms

Heidi Stein sucht ihren Sohn. Seit 35 Jahren schon. Eines Tages verschwand er auf einem Parkplatz in der damaligen DDR. Die Mutter hat einen fürchterlichen Verdacht.

Im Leben mancher Menschen gibt es einen Moment, der alles verändert. Alles trennt in davor und danach. Heidi Stein ist so ein Mensch. Ihr Danach begann vor 35 Jahren, am 10. März 1979. Es war nur diese eine Frage, die Heidi Stein ihrer sechsjährigen Tochter Silvia stellte, als sie zurückkam vom Spielen an einem kleinen Bach. Auf einem Parkplatz nahe Sangerhausen im Harz, damals noch DDR. Nur eine Frage: „Wo ist Dirk?“

28 Jahre alt war sie damals. Heute ist sie 63. Mehr als ein halbes Leben lang stellt sie sich und anderen nun immer wieder diese Frage. Weil ihr Sohn, der damals dreieinhalb und ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war, den sie „mein kleines Teufelchen“ nannte, „weil er so bockig sein konnte“, weil ihr Sohn also nie mehr auftauchte seitdem. Weil die Ungewissheit sie zermartert. Ob Dirk lebt oder nicht. Wüsste sie zumindest von seinem Tod, dann fände sie vielleicht Ruhe. Aber sie hat nur düstere Ahnungen, Vermutungen. Die früh nach dem Verschwinden ihres Sohnes in ihr keimten.

Viele haben sie gedrängt im Laufe der Jahrzehnte, endlich abzuschließen. Ihr Mann von damals, Vater von Dirk, ihre beiden Töchter und auch ihre Mutter. Der sie sagte, dass es für sie, die Oma, ja nur der Enkel sei. Sein Kind aber könne man nie aufgeben. Den Töchtern Silvia und Claudia, die zwei Jahre nach Dirk geboren wurde, sagte sie: „Für euch wäre es doch auch ein schönes Gefühl, wenn ihr verschwinden würdet und ich würde euch immer suchen und nie vergessen.“

Heidi Stein lebt heute mit ihrem Lebensgefährten vier Kilometer außerhalb der Gemeinde Isenbüttel, im flachen niedersächsischen Niemandsland zwischen Braunschweig und Wolfsburg. In einem hölzernen Bungalow der Ferienhaussiedlung „Tankumer See“. Still ist es hier, Wald ringsum. Ein Refugium, das sie selten verlässt. Zwei Mal die Woche geht sie schwimmen. Und alle zwei Wochen zum Psychologen.

Auch wegen ihres Verfolgungswahns gegenüber der Stasi, der in den Jahren diagnostiziert wurde. Sie kocht Kaffee, stellt die Kanne auf den Schreibtisch, zwischen die vielen Papiere, die dort ausgebreitet liegen. Flugblätter mit dem Bild ihres Sohnes, Abschriften aus der Ermittlungsakte vom Tag des Verschwindens und der Folgezeit, die Strafanzeige, die ihre Anwältin, die vierte schon im Laufe der Jahre, vor kurzem erst stellte gegen unbekannt. „Wegen des Vermisstenfalls Dirk Schiller, geboren am 13.06.1975, vermisst seit dem 10.03.1979.“ Dokumente einer Mutter ohne Frieden.

Sie würde ihren Sohn erkennen, davon ist sie überzeugt

Sie trägt eine Perlenkette und an den Fingern zwei goldene Ringe. Ihr Haar ist blondiert und nach hinten gezähmt. Die blauen Augen sind Fragezeichen, auf nichts Bestimmtes gerichtet, als wolle der Blick ankern an einem Ort jenseits von Hier und Jetzt. Nur manchmal, für einen kurzen Augenblick, bewegt er sich zu einer kleinen Kamera neben dem Fernseher, die den Bereich vor dem Haus überwacht. „Das ist meine Macke“, sagt sie. Aus Vorsicht, weil sie noch immer Angst habe vor der Stasi. Und aus Hoffnung, für den Fall, dass Dirk irgendwann doch noch mal vor der Tür steht.

Den sie wieder erkennen würde. Davon ist sie überzeugt. Über dem Schreibtisch hängt eine Art Phantomfoto von Dirk. „So wie er heute sein könnte.“ Vor kurzem ließ sie es von einem Fachmann anfertigen. Auf der Grundlage von Bildern ihres Cousins, dem Ex-Mann, einem Neffen und ihr selbst, „als ich in Dirks jetzigem Alter war“.

Die Geschichte seines Verschwindens beginnt so: Im Januar 1979 liegt Post von ihrer Arbeitsstelle im Briefkasten. Persönlich adressiert an Heidi Schiller, wie sie damals heißt. Die VEB Kohlekraftwerke „Völkerfreundschaft“ im sächsischen Görlitz, wo sie als Erzieherin arbeitet, gratuliert ihr zur zehnjährigen Betriebszugehörigkeit. Und spendiert ihr aus „Anerkennung für ihre Verdienste“ einen zweiwöchigen Familienurlaub im Erzgebirge. Sie freut sich. Weil sie nicht damit rechnet. Ihre Mutter ist zwar stramme Genossin, sie selbst aber war weder Mitglied der FDJ noch ist sie nun in der SED. Was sie von ihrem Vorgesetzten vorgehalten bekommt.

Am Ende eines bitterkalten Februars fahren sie los, knapp 200 Kilometer bis nach Stollberg. Der Urlaub vergeht rasch, „weil die Zeit immer schnell vergeht, wenn man glücklich ist“. Am letzten Tag, einem Samstag, 10. März 1979, möchten sie auf dem Weg nach Hause noch die „Heimkehle“ besuchen, die größte Karsthöhle in der DDR. Sie sind zu früh dort, die Höhle ist erst ab zehn Uhr geöffnet.

Sie gehen zurück zum Parkplatz, wo außer ihrem Trabant nur ein dunkelblauer Moskwitsch steht. Ein großes, seltenes Fabrikat, wie es nur höhere Parteikader fahren. Sie wollen ihn sich aus der Nähe anschauen, „weil Dirk so fasziniert war von Autos“. Erkennen aber, dass jemand darin sitzt und drehen ab, laufen zusammen hinunter zu einem Bach, der wegen der Kälte bis auf den Grund gefroren ist. Die Kinder spielen, die Eltern gehen kurz zurück zum Wagen, kaum außer Sichtweite des Baches, die Einkäufe vom Fußraum des Beifahrersitzes in den Kofferraum umzuräumen, in fünf Minuten seien sie wieder da.

Gravierenden Ereignissen gehen oft banale Dinge voraus. Fünf Minuten später läuft ihnen Silvia, die Tochter, entgegen. Und die Mutter fragt: „Wo ist Dirk?“ Silvia dreht sich um und sagt, dass er eben noch hinter ihr war. Ab nun beginnt das Danach im Leben von Heidi Stein.

Für einen Moment noch ist sie ruhig. Gemeinsam suchen sie die Gegend ab. Laufen ein paar hundert Meter den Bach entlang. Ihr Mann tritt auf das Eis. Nichts regt sich, nichts kracht. Eingebrochen sein kann er nicht. Sie rufen nach Dirk. Keine Antwort. Dann schnürt ihnen die aufkommende Panik den Hals zu. Der blaue Moskwitsch ist verschwunden vom Parkplatz. Doch das fällt Heidi Stein erst später ein. Sie rennen zur Höhle, die inzwischen geöffnet ist. Der Pförtner informiert Feuerwehr und Polizei im nahen Sangerhausen. Die suchen und finden nichts.

Schillers bleiben. Suchen tags darauf noch einmal die Gegend ab. Dann fahren sie zu dritt zurück nach Görlitz.

Es ist Herbst 1979, als man Heidi Stein und ihrem Mann ausrichten lässt, dass sie am Tag darauf nicht zur Arbeit zu kommen brauchen. Sie sollen zu Hause bleiben. Ein Funktionär aus Berlin habe sich angekündigt, um sie über den neuesten Stand im „Fall Dirk“ zu informieren, wie es nun heißt. Hoffnung. Aber sie hören nichts anderes von ihm. Dirk sei tot. Nur sollten sie ihn endlich auch offiziell für tot erklären. Nach einem halben Jahr.

Heidi Stein will kämpfen

Sie fragt ihn, ob man wirklich nichts gefunden habe. Ob man nicht die Halter des Moskwitsch ermittelt habe. Ja, längst. Aber die hätten es mit Sicherheit nicht nötig, ein Kind zu entführen. „Zum ersten Mal habe ich das Wort Entführung gehört“, sagt Heidi Stein, „obwohl ich es so gar nicht gemeint habe.“ Der Mann verabschiedet sich: „Unterschreiben Sie die Todeserklärung.“

Nach dem Verschwinden von Dirk empfindet Heidi Stein diesen Besuch als zweiten Schlüsselmoment ihres Lebens. Weil sie von nun an endgültig daran glaubt, die Stasi habe ihren Sohn entführt. Dass er ein weiterer Fall von Zwangsadoptionen wurde. Die unter den Bürgern der DDR ein offenes Geheimnis waren. Nur dass die meisten Kinder ihren Müttern, meist alleinerziehend und vor allem nicht linientreu, schon kurz nach der Geburt weggenommen wurden.

Die Schillers stellen einen Ausreiseantrag. Dessen Genehmigung sich über Jahre schleppt und am Ende abgelehnt wird. Aber Heidi Stein will kämpfen. Ihrem Mann kommen zum ersten Mal leise Zweifel am Sinn dieses Kampfes. Der Tod von Dirk ist nun schon fast vier Jahre her. Länger, als er bei ihnen lebte.

„Aber zu dem Zeitpunkt konnte ich nicht mehr aufhören“, sagt sie. Zu viel hatte sie schon investiert. Liebe, Zeit, ungezählte Nächte, in denen sie wach lag und es am schlimmsten war, weil nachts die Sinne am schärfsten sind. Wie er lebt und wo. Und ob überhaupt. Oft bekommt sie Schweißausbrüche wegen ihrer angegriffenen Nerven. Weshalb sie vor fünf Jahren in Frührente ging.

Nachdem das Regime von den Hilferufen in den Westen erfahren hat, verhaftet man die Schillers. Sie hat gerade Claudia, die kleinere Tochter, in den Kindergarten gebracht. Ihr Mann sitzt schon im Wagen. Viereinhalb Jahre Bautzen. Wegen Paragraf 99, landesverräterische Nachrichtenübermittlung. Nach fünfzehn Monaten Haft kauft die Bundesrepublik sie frei. Sie können im Mai 1985 mit den beiden Kindern in den ersehnten Westen reisen. „Ein befreiendes Gefühl.“ Aber es hält nicht lange vor.

Ende der Achtziger lassen sich die Eltern scheiden. Zum Schluss habe er nur gesagt: „Lass es mich wissen, wenn du ihn gefunden hast.“ Sie arbeitet hart. Erkämpft sich eine Stelle als Vertreterin für Putzmittel, lernt einen neuen Mann kennen und heiratet ihn. Alles sollte gut sein. „Für den Fall, dass er auf einmal wieder da ist.“ Tochter Silvia zieht schon mit 17 von zu Hause aus. Dass immer wieder Dirk das Thema ist, erträgt sie nicht länger.

Dann fällt die Mauer, es kommt die Wiedervereinigung und Heidi Stein fährt hinüber nach Magdeburg, wo die Akte über ihren Sohn nun einsehbar ist. Mehrere hundert Seiten. Sie liest und liest. Irgendwann stößt sie auf einen Satz, den die Zentrale Koordinierungsgruppe der Staatssicherheit in Berlin der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Leipzig schrieb. Bezüglich des Moskwitsch auf dem Parkplatz. „Bei möglicher Identifizierung sind keinerlei Maßnahmen einzuleiten. Fehlmeldung ist zu geben.“

Benommen verlässt sie das Gebäude. Es geht weiter.

Anfragen an Staatsanwaltschaften und andere Behörden. Die sehen keinen Anlass mehr, nach ihm zu suchen. Die Mutter lässt Flugblätter mit Dirk darauf drucken. Sie gründet einen Verein, „Netzwerk für Stasiopfer“. Ende der Neunziger stirbt ihr zweiter Mann an Krebs. Heidi Stein sucht weiter.

Und immer wieder die Hoffnung

Vor einem Jahr zum ersten Mal wieder ernsthafte Hoffnung. Der Vatikan antwortet auf ihr Hilfsbegehren, man werde den vatikanischen Suchdienst einschalten. Doch der findet nichts.

Das Phantombild über ihrem Schreibtisch ist die neueste Hoffnung. Sie will es zum ZDF für die Sendung „Aktenzeichen XY... ungelöst“ schicken.

Und wenn er dann vor ihrer Tür steht? Irgendwann? Vielleicht? Wie wird es sein? „Hm“, sagt sie, hält die Hand vor den Mund und schüttelt den Kopf. „Ich weiß ja nicht, wie er reagiert. Ich würde versuchen, ihn zu umarmen.“

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