Wowereits langer Abstieg
Er mischte die Partyszene auf und befand seine Stadt für „arm, aber sexy“. Heute halten nur noch zwölf Prozent der Berliner Klaus Wowereit für den richtigen Bürgermeister. Warum?
Allzu eilig hat es Klaus Wowereit mit dem Zurücktreten nicht. Ehe er auf das Thema zu sprechen kommt, auf das alle warten im rappelvollen Pressesaal des Roten Rathauses, beschäftigt sich Berlins Regierender Bürgermeister erst einmal mit den Chancen, die eine erneute Olympiabewerbung für Berlin böte und dem breiten Konsens, der darüber gerade im Senat geherrscht habe. Es ist eine unwirkliche Stille, in die er da ein paar Minuten lang hinein referiert, als ginge es hier gar nicht um ihn, sondern alleine um Berlin. Ja, räumt er ein, die Meinungen in der Stadt seien eher ambivalent. Wowereit aber ist sich sicher: Berlin braucht Olympia.
Klaus Wowereit hatte es in Berlin mit einer Großbaustelle zu tun
Die Frage, ob die Hauptstadt ihn noch als Bürgermeister braucht, ist schon länger entschieden. Lediglich zwölf Prozent der Befragten trauten dem 60-Jährigen bei einer Umfrage der Berliner Zeitung Anfang August noch zu, mit den Problemen der Stadt fertig zu werden – der schlechteste Wert aller führenden Landespolitiker. Insofern kommt die Nachricht, Wowereit wolle zurücktreten, an diesem grauen Berliner Vormittag nicht wirklich überraschend. Seit Wochen bereits tobt in der Landes-SPD ein erbitterter Machtkampf um seine Nachfolge, und auch er selbst wirkte bei seinen öffentlichen Auftritten zuletzt häufig lustlos, um nicht zu sagen amtsmüde. Mit mehr als 13 Jahren im Roten Rathaus ist Klaus Wowereit nicht nur der am längsten regierende Landesfürst in Deutschland. Er ist auch der mit dem am schwierigsten zu regierenden Land: Mehr als 60 Milliarden Euro Schulden, mehr als elf Prozent Arbeitslose und dazu ein Flughafen, der nicht nur nicht fertig wird, sondern auch noch doppelt so teuer wie geplant.
Mit dem Gedanken, sein Amt bereits vor Ablauf der Legislaturperiode 2016 abzugeben, habe er bereits länger gespielt, räumt Wowereit ein. „Ich wollte es sogar schon im Juli machen, aber da sind wir Weltmeister geworden.“ Jetzt, frisch aus dem Urlaub zurück, schafft er tatsächlich Fakten. Es falle ihm schwer, sagt er, aber am 11. Dezember werde er nach 30 Jahren in der Berufspolitik die Amtsgeschäfte an einen Nachfolger übergeben, pikanterweise einen Tag vor der Aufsichtsratssitzung der Betreibergesellschaft, bei der ein neuer Termin für die Eröffnung des Flughafens genannt werden soll. Über seine persönliche Verantwortung für das Chaos dort will Wowereit allerdings nicht reden, schon gar nicht an diesem Tag. Nur so viel vielleicht noch: „Dies ist eine herbe Niederlage gewesen, und das ist sie bis heute.“
Nüchtern, fast schon beiläufig hat er zuvor seine Entscheidung erläutert und sie mit den üblichen Floskeln von dem Hobby garniert, das er zum Beruf gemacht habe, und der Dankbarkeit, die er für diese Gelegenheit empfinde. Wie sehr ihm die Intrigen in der Berliner SPD zugesetzt haben, in der ein aufstrebender Fraktionschef palästinensischer Abstammung und ein nicht minder ehrgeiziger Parteichef seit Monaten um den besten Startplatz für das Nachfolgerennen rangeln, lässt Wowereit nur zwischen den Zeilen durchschimmern. Das dauernde Spekulieren und Schwadronieren über seinen bevorstehenden Abgang, klagt er da, „wurde aus den Reihen meiner eigenen Partei mit befördert“.
Wowereit: "Ich liebe diese Stadt so wie sie ist"
Nur einmal, ganz am Schluss seines kurzen Vortrages, gehen seine Gefühle mit ihm durch. „Ich liebe diese Stadt so wie sie ist“, sagt er da, die Stimme belegt und ein, zwei Tränen in den Augen. „Mit ihren Widersprüchen, mit ihren Vorteilen, ihren Nachteilen, mit ihrer Rauheit, mit ihrer Schönheit, und das wird auch so bleiben.“
Es ist der Versuch, in einer schier aussichtslosen Situation noch einen halbwegs geordneten Rückzug zu organisieren. Es sei nicht leicht, ihn vom Hof zu treiben, sagt Wowereit zwar. In seiner Partei allerdings waren einige Spitzengenossen, allen voran Fraktionschef Raed Saleh und der Landesvorsitzende Jan Stöß schon fest entschlossen, im Zweifelsfall genau das zu tun – und so sind es an diesem Dienstag vor allem Bundespolitiker wie SPD-Chef Sigmar Gabriel und der Linke Gregor Gysi, die die Verdienste des Bürgermeisters noch einmal wortreich würdigen. „Dass Berlin heute eine weltoffene, tolerante und attraktive Weltstadt ist, ist Klaus Wowereit zu verdanken“, sagt der eine. „Insbesondere kulturell hat er Berlin deutlich vorangebracht,“ sekundiert der andere. Und Gysi weiß, wovon er spricht. Er war 2002 für sechs Monate sein Wirtschaftssenator.
Mit den Jahren ging Wowereit seine Lockerheit abhanden
Als der damalige Fraktionschef Wowereit ein Jahr zuvor die Große Koalition seines Vorgängers Eberhard Diepgen nach einem Bankenskandal platzen und sich zunächst von einer rot-grünen Koalition zum Regierenden wählen lässt, ist er schnell der neue Liebling der Stadt, was nicht nur an seiner Vorliebe für Partys und Empfänge jedweder Art liegt, sondern auch an seinem plakativ vorgetragenen Bekenntnis „Ich bin schwul – und das ist auch gut so“. Mit den Jahren allerdings kommt ihm seine alte Lockerheit abhanden, er leistet sich Fehler, die andere Politiker sich in solchen Situationen nicht leisten würden, sodass sich in Berlin langsam, aber sicher das Bild eines Mannes manifestiert, der die Bodenhaftung verloren hat und es erkennbar genießt, dass ein paar Vorwitzige in der SPD ihn schon für einen potenziellen Kanzlerkandidaten halten.
Tatsächlich hat er bereits Schwierigkeiten, den Problemen in seiner Stadt Herr zu werden. Anstatt Straßen und Gehwege vernünftig räumen zu lassen, kommentiert Wowereit das Glatteis-Chaos im Februar 2010 mit der höhnischen Bemerkung „Wir sind hier nicht in Haiti“. Seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft gibt er unter massivem öffentlichen Druck zwar auf, um ihn sich dann allerdings bei nächster Gelegenheit wieder zurückzuholen. Und als einer seiner engsten Vertrauten, Kulturstaatssekretär Andre Schmitz, als Steuerbetrüger entlarvt wird, hält Wowereit es nicht einmal für nötig, seinen Urlaub dafür zu unterbrechen. Später stellt sich heraus, dass er schon seit zwei Jahren von der Sache weiß, seinen Kumpel aber trotzdem im Amt gelassen hat.
Seit Monaten liegt die CDU in Berlin weit vor der SPD
Ob er jetzt den zweiten Teil seiner Memoiren schreibt, Schirmherrschaften übernimmt oder sich ganz ins Private zurückzieht, lässt Wowereit offen. Er bleibe ein politischer Mensch, verspricht er – was immer das bedeuten soll. Von den beiden Kandidaten für seine Nachfolge, heißt es, halte er nicht allzu viel. Der einzige Genosse jedoch, dem der scheidende Bürgermeister es zutraut, Stadtentwicklungssenator Michael Müller, spielt im Berliner Machtpoker keine große Rolle mehr und wird darüber möglicherweise auch ganz froh sein. Wer immer jetzt Regierender Bürgermeister wird, muss schließlich damit rechnen, es nur knappe zwei Jahre zu bleiben, nämlich bis zur Wahl im Herbst 2016. In den Umfragen liegt die CDU mit ihrem blassen Innensenator Frank Henkel seit Monaten weit vor der SPD.
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