Zerreißt Horst Seehofers Asyl-Plan die Koalition?
Die Absicht des CSU-Chefs, Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückzuweisen, spaltet nicht nur die Union, sondern auch Merkels CDU.
Die Frage, ob bestimmte Flüchtlinge schon an der deutschen Grenze abgewiesen werden dürfen, wird in der Union zur Zerreißprobe. In der Sitzung der Unionsfraktion am Dienstagnachmittag gerät Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Informationen unserer Redaktion massiv unter Druck – auch aus den Reihen der CDU, deren Vorsitzende sie ist. Hintergrund des Streits: Eigentlich hätte exakt zur selben Zeit Bundesinnenminister und CSU-Chef Horst Seehofer seinen „Masterplan Migration“ in der Bundespressekonferenz vorstellen wollen. Doch die Kanzlerin ist strikt gegen die von Seehofer in dem Papier als eine von 63 Maßnahmen geforderte Zurückweisung von Flüchtlingen, die bereits in anderen Ländern der Europäischen Union registriert sind. Sie setzt auf ein gesamteuropäisches Vorgehen. So platzt der Seehofer-Termin.
Treffen der Fraktion gerät zur Krisensitzung
Das planmäßige Treffen der Fraktion gerät zur Krisensitzung. Unionsfraktionschef Volker Kauder will eine Debatte zu dem Streit zunächst abwenden, dringt nach draußen. Der CDU-Mann verweist auf bevorstehende Gespräche zwischen Seehofer und Merkel. Doch die Abgeordneten lassen sich von einer Diskussion um die Frage, die alle elektrisiert, nicht abbringen. Wie zu hören ist, kommt dabei auch aus den Reihen der CDU Unterstützung für Seehofer. Ohne einen Kompromiss, das ist allen klar, steht nicht nur die Union, sondern die gesamte Große Koalition auf dem Spiel. Doch die Sitzung geht ohne Ergebnis zu Ende. Merkel habe nur erneut betont, dass sie das Thema auf europäischer Eben lösen wolle.
Sowohl Merkels als auch Seehofers Hoffnungen auf einen Ausweg aus dem Dilemma richten sich nun auf Österreichs jugendlichen Bundeskanzler Sebastian Kurz. Der ist passenderweise gerade in Berlin zu Besuch und trifft sowohl Merkel als auch Seehofer. Denn Österreich tritt in Kürze die EU-Ratspräsidentschaft an. Kurz könnte endlich die von Merkel geforderten gesamteuropäische Flüchtlingspolitik voranbringen. Doch Kurz ist ein entschiedener Gegner der Merkelschen Flüchtlingspolitik, in der er viele Ansichten mit Horst Seehofer teilt.
Doch würde Deutschland Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen, träfe diese vor allem Österreich, das auf der Flüchtlingsroute zwischen Italien und Deutschland liegt. Dass das im Vorfeld heftig umstrittene geplante Treffen zwischen Kurz und dem US-Botschafter Richard Grenell abgesagt wird, werten Beobachter als Zeichen dafür, wie groß der Gesprächsbedarf ist, den die deutsche Spitzenpolitik mit dem 31-jährigen Österreicher hat.
Am Dienstagvormittag sitzt der Schock über die geplatzte Vorstellung des Seehofer-Papiers noch tief – im gesamten Unionslager. Der stellvertretende Unionsfraktionschef und CSU-Abgeordnete aus Nördlingen Ulrich Lange sagt: „Wir müssen Antworten in der zentralen Frage der Flüchtlinge geben. Das beinhaltet auch die mögliche Zurückweisung an der Grenze, wenn Menschen bereits in anderen europäischen Ländern registriert sind.“ Die bekannten Eckpunkte des Masterplans Migration von Horst Seehofer seien „schlüssig“ und hätten „die Rückendeckung der CSU“. Er baue auf eine Einigung „zugunsten des Masterplans“. Lange weiter: „Klar ist, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederholen darf, dies muss auch der Bundeskanzlerin bewusst sein. Dazu muss der Masterplan Migration vollständig umgesetzt werden.“
CDU-Mann stellt sich gegen die Kanzlerin
Auch der CDU-Abgeordnete Christian von Stetten stellt sich im Gespräch mit unserer Redaktion gegen die seine Parteichefin: „Der Bevölkerung ist eine weiterhin zögerliche Haltung nicht mehr vermittelbar.“ Die „Öffnung der Grenzen ohne Registrierung und ohne Kontrolle“ im Herbst 2015 habe er schon damals als Jahrhundertfehler bezeichnet, sagt der Baden-Württemberger.
Aus dem Umfeld von Horst Seehofer heißt es, der Innenminister sei nicht nur aus tiefstem Herzen überzeugt, dass Zurückweisungen notwendig sind, sondern stehe auch unter enormem Druck seiner Partei. In der CSU gilt eine konsequente Linie in der Asylpolitik als Voraussetzung für einen Erfolg bei den bayerischen Landtagswahlen im Herbst.
Zwei Kompromissformeln denkbar
Doch auch Merkel wird nicht nachgeben, sind andere Parteifreunde aus der CDU überzeugt. Für die Kanzlerin würde ein Einlenken in dieser Frage das Eingeständnis des Scheiterns ihrer gesamten Flüchtlingspolitik seit 2015 bedeuten, glauben sie. Für den Frieden in der Union, vielleicht sogar für ihr Überleben, ist deshalb ein Kompromiss nötig, die Formel könnte etwa lauten: Wenn es bis zu einem bestimmten Zeitpunkt keine europäische Lösung gibt, kommt es zu Zurückweisungen. Oder: Es kommt so lange zu Zurückweisungen, bis es eine gemeinsame europäische Lösung gibt. Viele Christsoziale tendieren zu letzterer Variante, denn dadurch, so glauben würde der Druck auf die europäischen Partnerländer steigen.
Denn in der CSU und in weiten Teilen der CDU ist der Frust groß, dass über eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik und die Notwendigkeit eines besseren Schutzes der EU-Außengrenzen seit Jahren „viel gesprochen und nichts erreicht wird“, wie es ein Parlamentarier formuliert. Die Hoffnung, dass sich dies nun ändert, hat einen Namen: Sebastian Kurz.
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Frau Merkel hatte nun seit 2015 genug Zeit für ihre "europäische" Lösung. Seit 3 Jahren treibt sie die EU unerbittlich auseinander, förderte mit ihrer eigenmächtigen Grenzöffnung (ohne Rücksprache mit den EU Partnern) den Brexit.
Es ist an der Zeit, dass nun echte Europäer übernehmen.
Das Grundproblem ist doch, dass die EU nicht vorankommt. Hätten wir eine vernünftige EU-Regelung, gäbe es die jetzige Auseinandersetzung gar nicht.
Somit stellen sich zwei Fragen. Wollen wir riskieren, die Lösung des Problems auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben? Und erhöhen oder verringern wir die Chance für eine europäische Lösung, wenn wir allein vorangehen?
Man muss kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass ein nationaler Alleingang eine Kettenreaktion auslösen würde, an dessen Ende bei allen die Einsicht stünde: Wir brauchen eine europäische Lösung. Ohne einen solchen Alleingang indes laufen wir Gefahr, dass Europa das Thema weiterhin auf die lange Bank schiebt.
Was also spricht dagegen, in begründeten Fällen Flüchtlinge solange an der Grenze zurückzuweisen, bis es eine europäische Gesamtlösung gibt? Oder zumindest anzukündigen, dass Deutschland als ultima ratio einen Alleingang starten wird, falls und nur falls sich Europa nicht innerhalb einer vorgegebenen Frist geeinigt haben wird?
Das Thema ist emotional stark aufgeladen. Deshalb sollte alles getan werden, um berechtigte deutsche und europäische Interessen besonnen und entschlossen durchzusetzen. Gesichtswahrung oder persönliche Diffamierung sollten nicht auf der Agenda deutscher Politik stehen!