Zu wenig Reformen: Ist Frankreich ein taumelnder Riese?
Frankreichs Präsident François Hollande schafft es nur zaghaft, Reformen anzugehen. Das sorgt bei der Bevölkerung für Frust - und stärkt andere Parteien.
Hinterher soll alles nur ein Missverständnis gewesen sein. „Zu keinem Zeitpunkt haben wir in Brüssel einen Aufschub für das Erreichen unserer Sparziele erbeten“, erklärt Frankreichs Finanzminister Michel Sapin unermüdlich. So als könnte er frühere Andeutungen ungeschehen machen, Frankreich stelle zwar nicht seine Verpflichtung in Frage, bis 2015 das EU-Defizitkriterium von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zu erreichen, nachdem die EU-Kommission bereits zweimal Aufschub gewährt hatte. Gleichzeitig wolle man aber mehr Spielraum für soziale Politik und mit Brüssel eben doch über den „Rhythmus“ der Haushaltssanierung diskutieren.
Doch die französischen Verhandlungsführer erhielten eine scharfe Abfuhr. Woraufhin Premierminister Manuel Valls Milliardenkürzungen bei den Sozialausgaben ankündigte, um 50 Milliarden Euro bis 2017 einzusparen. Natürlich halte Frankreich seine Versprechen ein, versicherte er. „Und zwar nicht, um Brüssel zufriedenzustellen, sondern für uns selbst, für unsere Glaubwürdigkeit.“ Diese ist wertvoll, nicht zuletzt aufgrund der historisch tiefen Zinsen, die die Märkte der zweitgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone immer noch gewähren. Und sie ist in Gefahr.
Arbeitslosigkeit in Frankreich auf Rekordhoch
Die Drei-Prozent-Marke hat auch symbolische Wirkung. Einerseits in Frankreich, wo sich sowohl der linke Flügel der regierenden Sozialisten als auch die extreme Linke und Rechte gegen das „Austeritäts-Diktat aus Brüssel“ wehren. Andererseits für die internationalen Partner, die besorgt darüber sind, dass Frankreich seine wirtschaftlichen und budgetären Probleme nicht in den Griff bekommt.
Zum Jahresende hat die Staatsverschuldung 93,5 Prozent des BIP erreicht. Die Arbeitslosigkeit steht mit fast elf Prozent bei einem Rekordhoch, unter den Jugendlichen erreicht sie 26 Prozent. Als Hauptursache für die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gelten ein zu rigider Arbeitsmarkt und hohe Arbeitskosten.
Die Regierung um Hollande fürchtet Widerstand
Umstrittener als die Diagnose ist die Therapie. Alarmiert durch die herbe Niederlage der Sozialisten bei den Kommunalwahlen im März, setzt die Parteilinke Präsident François Hollande unter Druck und warnt vor einer Aufgabe des französischen Sozialmodells. Aus Furcht vor Widerstand wagt sich die Regierung nur zaghaft an Reformen. Da sozialer Dialog wenig Tradition hat, galt es schon als Erfolg, dass sie die Sozialpartner überhaupt an einen Tisch brachte – auch wenn einige Gewerkschaften den „Verantwortungspakt“ ablehnen, der 30 Milliarden Euro Entlastungen für Unternehmen vorsieht, damit diese Jobs schaffen.
In einer aktuellen Bertelsmann-Studie schneiden Frankreichs politische Eliten in Sachen Reformfähigkeit schlecht ab. Gleichzeitig fehlt vielen Bürgern das Vertrauen in die Fähigkeit der Politiker im Allgemeinen und Hollande im Besonderen, einen Weg aus der Krise aufzuzeigen. Von der Enttäuschung profitiert der ultrarechte Front National. Umfragen zufolge könnte der Front National bei den Europawahlen stärkste politische Kraft werden.
Es wäre auch ein Krisen-Votum – in einem Land, das viele Trümpfe hat. Aber blockiert ist in der Furcht, sie zu verlieren.
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