Wo bin ich zuhause?
Jugendliche sind immer vernetzt. So sind sie eigentlich in der ganzen Welt unterwegs und doch eng mit der Heimat verbunden. Die Augsburger Allgemeine hat Jugendliche nach ihren Wünschen, Werten und Wohnorten befragt.
Von Benjamin Reif
Mit der ganzen Welt vernetzt – und doch so heimatverbunden. Jugendliche verlieren sich in ihrer Freizeit gerne in den Weiten des Internets. Doch in ihrem Heimatort sind sie fest verwurzelt. Und viele können sich auch gar nicht vorstellen, diesen einmal endgültig zu verlassen.
So könnte man die Erkenntnisse, die sich aus der großen Jugendumfrage der Augsburger Allgemeinen mit 336 Jugendlichen ergeben haben, zusammenfassen. Dabei ist zu beachten, dass diese Ergebnisse keineswegs repräsentativ sind. Doch ein Trend lässt sich durchaus ausmachen. Die Stimmung unter den Jugendlichen, die im Schnitt 19 Jahre alt sind, scheint mit grassierender Landflucht nichts zu tun zu haben.
Heimat – dieser Begriff ist manchmal diffus, schwer greifbar, abstrakt. Jeder verbindet andere Dinge damit, doch jedem ist er wichtig.
Auf einer Punkteskala von eins (sehr schwach) bis zehn (sehr stark) sollten die befragten Jugendlichen bewerten, wie stark sie sieben Kategorien mit dem Begriff „Heimat“ verbinden. Die Jugendlichen gaben auf die Frage, was sie mit dem Begriff verbinden, folgende Antworten. Mit einem Durchschnittswert von 9,1 ist die Familie der wichtigste Faktor für ein Gefühl des „Zuhause seins“, dicht gefolgt von Freunden mit 8,4. Danach kommt die einzigartige Beschaffenheit des Landkreises mit Landschaft und Bauwerken, die einen Wert von 6,8 erreicht. Heimattypische Feste sowie die kulinarischen Eigenarten schneiden mit 6,2 gleich wichtig ab. Der Verein trägt überdies mit 5,9 , die Heimatzeitung mit 4,3 zum Heimatgefühl bei.
Die Bereitschaft, das Elternhaus schon komplett zu verlassen, scheint bei den jungen Leuten in der Region zunehmend zu schwinden. Knapp 40 Prozent gaben an, dass sie sich nicht vorstellen könnten, für Arbeit, Ausbildung oder Studium weit weg zu ziehen. In der Befragung hatten die Jugendlichen dann die Möglichkeit, ihre Beweggründe für ein „Ja“ oder „Nein“ zu äußern. Die Antworten gehen beachtlich zugunsten der elterlichen Geborgenheit. Verständlicherweise geben zwar viele der Befragten an, dass Zwänge im Studium oder Jobs in speziellen Branchen einen Wegzug aus dem Landkreis erforderlich machen könnten. Doch bei vielen ist ein „obwohl ich meine Familie sehr vermissen würde“ angehängt. Für 56 Prozent ist ein Wegziehen von der Verwandtschaft keine Option. Mehr als die Hälfte der Befragten könnten keine zehn Pferde von ihren Vätern, Müttern und Geschwistern trennen – das lässt aufhorchen.
Derlei Ergebnisse verwundern Markus Hilpert nicht. Er lehrt und forscht an der Universität Augsburg im Bereich Wirtschafts- und Sozialgeografie. Somit ist Heimat auch ein zentraler Punkt in seinem Forschungsfeld. Das Regionalitätsbewusstsein, also das Gefühl, mit einem bestimmten Ort verbunden zu sein, hängt laut Hilpert von drei entscheidenden Faktoren ab. Teilweise sind diese eng miteinander verwoben.
Der Experte ist nicht überrascht
Zuerst von der inneren Frage „Wohin gehöre ich?“, die stark mit der Bildung einer eigenen Identität verknüpft ist. Einfach ausgedrückt: Akzeptiert einen das Umfeld, akzeptiert man es zurück und fühlt sich verwurzelt.
Daraus ergibt sich quasi schon der zweite Punkt: das Zusammengehörigkeitsgefühl in einer Region. Dieses wird durch spezifische Kleidung (wie Trachten) nach außen hin gezeigt und durch die regionseigenen Bräuche, Feste und Redewendungen täglich gefestigt.
Schließlich will man sich nach außen hin abgrenzen, denn die Heimat muss etwas besonderes sein. So ergeben sich Unterscheidungen wie die zwischen bayerischen und baden-württembergischen Schwaben. Doch laut Hilpert kann man Heimat selten räumlich genau eingrenzen. Im Großen und Ganzen fühle man sich da zuhause, wo man sich sprachlich und kulturell auskennt und enge soziale Beziehungen hat. In unserer Umfrage zeigt sich, das gerade die bayerisch-schwäbische Kultur bei den Jugendlichen einen hohen Stellenwert einnimmt. Die hiesigen „Eigenarten“ wachsen den Jugendlichen ans Herz: Maibaum stellen, Christbaum loben, Trachten, Weißwurstfrühstück und Kässpatzen. Ein Aufwachsen mit Laptop und Lederhose also. Und das eine scheint mit dem anderen mehr zu tun zu haben, als man vielelicht denken würde. So sagt Markus Hilpert: „Wenn jeder die Möglichkeit hat, überall hinzukommen, dann gewinnt das gewohnte Umfeld an Bedeutung.“
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