Verspielte Bürger
Das Laienschauspiel in Nördlingen geht mit altem Schwung ins neue Jahr. Für heitere, spannende und nachdenkliche Momente sorgen in der Riesmetropole der Verein Alt Nördlingen und das Dramatische Ensemble
„Was tut sich in diesem Jahr?“ ist im Theaterbetrieb eine besonders interessante Frage, denn hier ist kein Jahr wie das andere. Das gilt auch für das Laientheater in Nördlingen, das wesentlich getragen wird vom Verein Alt Nördlingen (VAN) auf der Freilichtbühne „Alte Bastei“ sowie dem Dramatischen Ensemble (DE), das seine Stücke im Stadtsaal Klösterle aufführt.
Sie haben ähnliche Wurzeln und wurden von Bürgern gegründet, der VAN 1924 aus der kulturinteressierten Gesellschaft heraus, das DE 1989 spontan von einer Ministrantengruppe. Und doch sind sie unterschiedlich und ergänzen sich hervorragend: Auf der Freilichtbühne ist eher konventionales Theater zu sehen, von historischen Stücken, die sich oft auf die Stadtgeschichte beziehen, über klassische Dramen bis hin zu volkstümlichen Komödien wie „Kohlhiesels Töchter“, was heuer auf dem Programm steht.
Klassische Verwechslungskomödie
Das Stück, unvergesslich durch die Verfilmung aus dem Jahr 1962 mit Lieselotte Pulver in der Doppel-Titelrolle, basiert auf einem Bauernschwank. Für eine klassische Verwechslungskomödie gibt es kaum einen besseren Stoff als die zwei ungleichen Zwillingsschwestern, die beide unter die Haube gebracht werden sollen – laut einem Testament allerdings die krätzige, unsympathische zuerst, was durch eine Scheinehe bewerkstelligt werden soll, die schon in der Hochzeitsnacht schiefläuft.
Was das Dramatische Ensemble heuer spielt, ist noch nicht spruchreif – das DE spielt ja erst im November und hat mehr Zeit als der VAN mit seiner Freilichtbühnen-Saison im Juli. Allerdings liegt dem Dramatischen Ensemble Spontaneität ohne allzu lange Planung im Blut, denn sie sehen sich selbst als unkonventionelle, ein bisschen verrückte Truppe.
Sherlock Holmes ermittelt in Schwaben
Das zeigte sich auch in der letzten Inszenierung vor wenigen Monaten „Sherlock Holmes und die Kehrwoche des Todes“, wo der britische Meisterdetektiv in den Niederungen schwäbischen Putzterrors an seine Grenzen stieß. Es stand ganz in der Tradition schräger DE-Stücke wie beispielsweise Goethes „Götz“ als Bauernschwank, „Wild West Saloon“, dem wohl ersten und einzigen Western auf einer Saalbühne oder „Sissi“ als Komödie. Doch immer wieder zeigt das DE, genau wie der VAN, dass Laien durchaus zu professioneller Leistung fähig sind: Zu „Cabaret“, 2004 zum 25-jährigen Bestehen des Dramatischen Ensembles inszeniert, sagten die Zuschauer unisono: „Das hättet ihr auf jeder deutschen Musical-Bühne spielen können.“
Die Nachwuchsfrage
Blickt man über das Jahr hinaus, stellt sich beim Laientheater wie bei allen Vereinen die Frage des Nachwuchses. Auf der Freilichtbühne „Alte Bastei“ ist sie besonders nachhaltig gelöst, denn seit 1993 können Achtjährige in den Kinderstücken mitspielen. Bei den Inszenierungen wird sorgsam darauf geachtet, möglichst viele Kinderrollen unterzubringen. Der Trick: Nebenfiguren wie Bienen, Vögel, Krabben, eine Affenhorde (oder auch Mehlsäcke) werden zum Bühnenballett. Einsteiger können hier ganz unbeschwert ohne Text erste Erfahrungen sammeln und werden durch das Erfolgserlebnis des Applauses Tausender Zuschauer zum Weitermachen motiviert. So wächst automatisch die nächste Spielergeneration heran und etliche, die jetzt im Erwachsenstück brillieren, haben in jeder Hinsicht klein angefangen.
Es dominieren klassische Stoffe von Biene Maja über Pippi Langstrumpf bis hin zum „Urmel“. So kommt auch heuer mit Otfried Preußlers „Das kleine Gespenst“ wieder eine Geschichte in die „Alte Bastei“, die geschickt Alt und Jung in den Bann zieht.
Beim Dramatischen Ensemble fühlen sich junge Leute von der unkonventionellen Umsetzung ganz von selbst angezogen, oft führt der Weg über die Schultheater-Bühne ins Klösterle. Schnell schlägt die Spielbegeisterung auf Freunde über, sodass neben der Kernmannschaft immer wieder frische Talente auftauchen. Wie beim VAN auch wird die Spielbegeisterung schlichtweg in den Familien weiter vererbt, bei Kindern und Jugendlichen verwischen schnell die Grenzen zwischen Proben-Zaungast und Darsteller.
Genau so funktioniert Kultur in der Region: Sie wächst an ihrer eigenen Begeisterung.
Die Diskussion ist geschlossen.