Andrea Pirlo und die Trauer des alten Mannes
Andrea Pirlo lenkt noch immer das Spiel von Juventus Turin. Nach der Niederlage gegen Barcelona weinte er bittere Tränen. Waren es Tränen des Abschieds?
Am Ende sah der alte Mann, der erst 36 ist und aussieht wie ein Schiffbrüchiger, noch etliche Jahre älter aus. Andrea Pirlo stand vor der Kurve der 17500 Juve-Anhänger, bedankte sich für deren Unterstützung, Tränen in den Augen. La vecchia Signora, Turins alte Dame, hatte das Finale gegen den FC Barcelona, die beste Vereinsmannschaft der Welt, verloren und Pirlo, der stille Anführer der Italiener, hatte es nicht verhindern können.
Es könnte sein letztes Spiel für die Bianconeri gewesen sein, obwohl sein Vertrag noch bis 2016 läuft. Das letzte einer großartigen Karriere, die mit 16 in Brescia begonnen hat, in der Pirlo mit der Squadra Azzurra 2006 Weltmeister wurde, und 2003 sowie 2007 mit dem AC Mailand die Champions League gewann. Schon damals umgab ihn die Aura eines Philosophie-Studenten im 18. Semester, der Fußball nur aus Erzählungen kennt. Den Eindruck des irgendwie Abwesenden hat er seinem Spiel bis in die alten Tage bewahrt.
Auch im Finale hat er wieder in eine Ecke des Platzes geschaut und den Ball in eine andere gespielt. Gerade gegen Barça mochte er nicht darauf verzichten, in größter Bedrängnis den besten Moment für ein Zuspiel abzuwarten. Das kann einem Juve-Fan mitunter an die Nerven gehen. Umso befreiender ist das erleichternde Staunen, wenn der Zauberfuß den Augenblick wieder erwischt hat.
Pirlo ist kein Mann für das Schlachtengetümmel
Das war ihm in der Enge des Finales freilich nicht mehr so häufig vergönnt, wie noch vor Jahren. Trotzdem war Pirlo auch Samstagnacht das Metronom, das Juves Schlagzahl bestimmte. Neben ihm stürzten sich Marchisio, Vidal und der bärenstarke Pogba ins Mittelfeldgetümmel. Eine Aufgabe, für die Pirlo nicht geschaffen ist.
Früh hatte es ausgesehen, als würden die Turiner in dieser Nacht einfach nur ein weiteres Opfer der überragenden Katalanen werden. Rakitics Führungstreffer (4.) machte alle Turiner Hoffnungen zunichte, das Spiel lange offen zu halten, Barça müde zu verteidigen und dann auszukontern. "Barça hat den ersten Fehler, den wir gemacht haben bestraft", ärgerte sich Turins Trainer Massimiliano Allgri.
Dass Juve überhaupt im Spiel blieb, hatte es an einem anderen Senior zu verdanken, dem 37-jährigen Gianluigi Buffon, der immer noch blitzschnell eine Hand an den Ball brachte. Juve kämpfte sich ins Spiel. Nach einer Stunden waren sie angekommen. Es stand 1:1, weil Morata nach einem Tevez-Schuss am richtigen Fleck gestanden hatte.
Der FC Barcelona wackelte, aber nicht lange. "Barça hat es geschafft, in einem Augenblick, in dem wir dachten, wir haben das Spiel unter Kontrolle, die Partie wieder an sich zu reißen", beklagte Massimiliano Allegri jenen Moment, in dem Buffon einen Messi-Schuss nicht weit genug zur Seite abwehren konnte und Suarez zum 2:1 traf (68.). Bei Neymars 3:1 (90.+5) hatte Juve die Abwehr entblößt und Alles oder Nichts gespielt.
"Barça", verneigte sich Allegri vor den Katalanen "ist einfach unglaublich." Allegri war freilich schon vor dem Anpfiff der große Gewinner der Bianconeri. In seinem ersten Amtsjahr hat er mit Juve Meisterschaft und Pokal gewonnen. Den leidenschaftlichen Auftritt seiner Mannschaft im Finale hat er als Erfolg verbucht – "da gibt es von mir nichts auszusetzen."
Und Andrea Pirlo? Verschwand wortlos aus Berlin. Als Uefa-Präsident Michel Platini dem 36-Jährigen direkt nach dem Spiel die Verlierer-Medaille über den Kopf streifte, erklang aus der Barca-Kurve ein mächtiger „Pirlo“-Chor. Man würde ihn gerne noch ein Jahr sehen. Anton Schwankhart
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