Angst auf Eis und Schnee besiegen: Winterspiele sind Risikospiele
Schnell wie Autos rasen Abfahrer, Rodler und Skeletonis Berg und Bahn hinunter. Meistens geht's gut. Die Tragödie des Rodlers Nodar Kumaritaschwili ist aber eine Mahnung.
Winterspiele sind auch Risikospiele! Der tragische Tod des georgischen Rodlers Nodar Kumaritaschwili am Eröffnungstag der Vancouver-Spiele 2010 bleibt eine Warnung vor den Gefahren auf Eis und Schnee. Mit 144,3 Stundenkilometern war er am 12. Februar 2010 den Eiskanal hinuntergerast, als er die Kontrolle über seinen Schlitten verlor, über die Bahnbegrenzung flog und gegen einen Stahlträger prallte. Am Mittwoch jährt sich der Unfall zum vierten Mal. Wie die rasenden Rodler müssen alpine Abfahrer, Skispringer oder die Ski-Akrobaten die Angst besiegen, um erfolgreich sein zu können.
In Sotschi wurde die Spitzengeschwindigkeit auf der Rodel-Bahn des olympischen "Sanki"-Centers auf 136 km/h gedrosselt - das Risiko damit aber nicht ausgeschlossen. "Man kann in die Sportler nie reinschauen, aber sie wissen, das ist ein Rennsport", sagte Rodel-Bundestrainer Norbert Loch. "Und dass sie bei jeder Fahrt in Gefahr sind."
Vancouver-Olympiasiegerin Tatjana Hüfner versucht stets, mögliche Gefahren auszublenden. "Wenn man dran denkt, kommt Angst auf. Die darf aber nicht mitfahren", sagte sie einmal. Für Weltverbands-Präsident Josef Fendt gehören Stürze zum Rodeln dazu: "Wir sind ein Rennsport. Da kann man nie alles ausschließen."
Martin Schmitt fühlte sich "mutterseelenallein"
Wenn Rodel-Olympiasieger Felix Loch an Skeleton denkt, wird selbst ihm bange. "Nein! Kopf voraus geht auf gar keinen Fall, da hätte ich zu viel Angst", sagte er einmal. Lieber rase er mit den Füßen irgendwo hinein, "als dass ich zuerst mit dem Kopf irgendwo gegen knalle".
Der zurückgetretene Skispringer Martin Schmitt fühlte sich vor jedem Sprung auf der Schanze "mutterseelenallein, wie im Weltall". Für die 15-Jährige Gianina Ernst ist das eine Gewöhnungssache. "Mit jedem Mal wird es leichter", sagte sie. "Ich habe keine Angst, aber es gibt schon Momente, in denen man sich überwinden muss, da runter zu springen." Bei Stürzen anderer schaue sie nicht lange hin, die Möglichkeit eigener Missgeschicke verdränge sie: "Wenn man im Kopf entscheidet, man stürzt nicht, passiert es auch nicht. Mir ist noch nichts passiert."
Den einen Monat vor den Sotschi-Spielen schwer gestürzten Thomas Morgenstern kostete der erste Trainingssprung danach viel Überwindung. "Zugegeben, die Anspannung war beim ersten Sprung schon groß", bekannte der Österreicher. Noch nie habe er so lange am Balken gewartet, bis das Freizeichen gegeben wurde. "Natürlich sind mir viele Gedanken durch den Kopf gegangen", erzählte Morgenstern. "aber kaum war ich in der Spur, habe ich ein vertrautes Gefühl gespürt."
Morgensterns Sturz hat auch den deutschen Springer Andreas Wellinger nicht unbeeindruckt gelassen. "Ganz ausblenden kann man das nie. Es kann viel passieren im Skispringen", gab er zu. Sein Kollege im Sprung-Team, Richard Freitag, kalkuliert einen Sturz mit ein: "Man weiß, dass es immer passieren kann. Das ist ganz normal."
Akrobatik gehört dazu
Riskant geht es auch in den Trendsport-Disziplinen wie Slopestyle, Halfpipe oder Buckelpiste zu mit den ganzen akrobatischen Elementen, Sprüngen und halsbrecherischen Vorführungen. "Das Gefühl dafür muss man sich erarbeiten. Wenn die Angst mitfährt, funktioniert es nicht", weiß Helmut Herdt, der deutsche sportliche Leiter Ski-Freestyle.
Es ist aber auch das über Jahre erarbeitete Können, das den Ski-Akrobaten Sicherheit bei ihren spektakulären Tricks gibt. "Wenn es in der Luft mal ein bisschen wackelt, kommt vielleicht mal kurz so ein Ooh, aber in der Regel stellst du es trotzdem hin. Passt", meinte Halfpipe-Snowboarder Johannes Höpfl cool. Skicrosserin Heidi Zacher stellte klar: "Wir fahren ja nicht kopflos, da ist auch Taktik und ein bisschen ein Gespür hinter, wie kann man überholen und so."
Was für die Ski-Freestyler gilt, gilt erst recht für die Abfahrer. "Wer Angst hat, macht nur Fehler", sagte der Österreicher Klaus Kröll kürzlich: "Angst macht weiche Knie." Auf wackeligen Beinen darf man auch als Paarläufer im Eiskunstlauf nicht stehen. Aljona Savchenko stürzte zuletzt beim Grand Prix in Moskau beim dreifachen Wurfaxel schwer. "Solche Sprünge traut sich nicht jeder. Ein russisches Sprichwort lautet: Wer nichts riskiert, trinkt keinen Champagner", sagte die Chemnitzerin, die mit Partner Robin Szolkowy viermal Weltmeister war und endlich Olympia-Gold will. "Man muss schon hart sein."
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