"Behörden machen ernst - gut so": Die Pressestimmen zur WM-Affäre
Wie deutsche Medien sich über die die Affäre rund um das WM-Fußball-Sommermärchen 2006 im eigenen Land schreiben.
Fast zehn Monate nach der Eröffnung eines Strafverfahrens gegen den "Kaiser" sowie die ehemaligen DFB-Funktionäre Wolfgang Niersbach, Theo Zwanziger und Horst R. Schmidt kam damit neue Bewegung in den Fall. Insgesamt fanden laut Schweizer Behörde zeitgleich Hausdurchsuchungen an acht Orten statt, es wurden verschiedene Beschuldigte vernommen.
Im Zentrum der Ermittlungen steht eine ominöse Zahlung von 6,7 Millionen Euro aus dem Jahr 2002, die vom DFB als Ausgabe für eine Gala zur WM-Eröffnung deklariert worden war. Diese fand jedoch nie statt. Es bestehe der Verdacht, "dass die Beschuldigten wussten, dass der Betrag nicht der Mitfinanzierung der Galaveranstaltung diente, sondern der Tilgung einer Schuld, die nicht durch den DFB geschuldet war", begründete die Schweizer Bundesanwaltschaft ihre Ermittlungen.
Was Medien über die WM-Affäre 2006 schreiben:
"Ist vor dem Sommermärchen 2006 schmutziges Geld geflossen? Dies zu fragen ist in etwa so, als begehre man zu wissen, ob der Papst katholisch sei. Juristisch gilt die Unschuldsvermutung. Aber ausgerechnet Franz Beckenbauer, Glückskind und Lichtgestalt, könnte es nun doch ernsthaft an den Kragen gehen. Zur Erinnerung, auch wenn es um andere Dimensionen geht: Kein Mensch hätte es früher für denkbar gehalten, dass Uli Hoeneß je ins Gefängnis müsste. Wir wollen den Teufel nicht an die Wand malen, aber dass die Justiz prinzipiell auch vor größten Namen nicht Halt macht, ist eine bare Selbstverständlichkeit." Allgemeine Zeitung (Mainz)
"Der "Kaiser" wird also doch nicht verschont. Das Schweizer Verfahren gibt dem Fall eine neue Dimension. Auf der Agenda des Strafverfahrens stehen Betrugsverdacht, Geldwäscherei und Veruntreuung. Schweizer Staatsanwälte kennen sich auf diesen Feldern besonders gut aus. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft hatte bislang lediglich wegen Steuerhinterziehung ermittelt und sich schwer getan. Jetzt aber - in der Nachspielzeit - könnte es eng werden für Beckenbauer und Co." Flensburger Tageblatt
"Die Schweizer Behörden machen ernst - gut so. Es gibt noch immer zu viele unbeantwortete Fragen rund um die dubiosen Zahlungsströme im Vorfeld der WM 2006, in deren Mittelpunkt Franz Beckenbauer steht. Man wünscht den Ermittlern viel Erfolg, auf dass dieses unschöne Kapitel deutscher Sportgeschichte irgendwann tatsächlich geschlossen werden kann. Vielleicht schaffen es die Schweizer ja schon bis zum nächsten März. Dann soll nach Sebastian Schweinsteiger auch Lukas Podolski sein Abschiedsspiel bekommen - der allerletzte Sommermärchen-Veteran." Stuttgarter Nachrichten
Mitteilung Schweizer Bundesanwaltschaft
Der Verdacht ist jedenfalls gegeben, dass die Deutschen das Kickerfest nicht allein wegen ihres bekannten Organisationstalents an Land zogen. Natürlich gilt für die Verdächtigen die Unschuldsvermutung. Doch es sollte nicht verwundern, fänden die gründlichen Schweizer Ermittler im Wust der verschleierten Transaktionen doch noch Hinweise auf unrechtes Tun. Man weiß schließlich heute nur zu gut, wie der Fußball-Weltverband mit seinem ehemaligen Präsident Joseph Blatter seine Geschäfte organisierte. "Krumm" wäre dafür eine verniedlichende Vokabel. Badische Zeitung (Freiburg)
Vorwurf des gekauften Sommermärchens steht im Raum
"Untreue und Geldwäsche - das sind keine Kavaliersdelikte. Wieder einmal rücken die Hintergründe der WM-Vergabe an Deutschland in den Fokus, der Vorwurf des gekauften Sommermärchens 2006 steht weiter im Raum. Nun aber besteht die Hoffnung, dass die Wahrheit doch noch ans Licht kommt. Was der DFB selbst bisher an Erkenntnissen und Erklärungen geliefert hat, wofür die fraglichen 6,7 Millionen Euro gedacht waren, war nicht schlüssig. Es soll Zeitgenossen geben, die davon überzeugt waren, wenigstens der DFB und Kaiser Franz hätten eine saubere Weste, nachdem der Weltverband im Affärensumpf versunken ist. Dieser Glaube ist - mindestens - schwer erschüttert." Ludwigsburger Kreiszeitung
"Nie in den letzten 50 Jahren war mehr Farbe, Freude, Stimmung im Land als 2006. Selten hat Deutschland so viel positive Resonanz erfahren, so viel an Reputation gewonnen. Beckenbauer - wenn wir das Thema auf eine Person reduzieren - war der Letzte, der ein sportliches Großereignis in die Republik geholt hat. Möglicherweise musste er dabei zu illegalen Mitteln greifen. Wahrscheinlich ging es in der Fifa-Welt um die Jahrtausendwende nur so. Geahnt haben dürften es viele, so genau wissen wollte es keiner. Bleibt immer nur Beckenbauer." Freie Presse (Chemnitz)
"Der tief gefallene "Kaiser" hat mehrfach die Gelegenheit verpasst, aus eigenen Stücken in der "Sommermärchen"-Affäre reinen Tisch zu machen. Jetzt übernimmt die Schweizer Staatsanwaltschaft und die einstige "Lichtgestalt" steht in der Öffentlichkeit da wie ein kleiner Fußball-Mafioso. Trotz der gebotenen Unschuldsvermutung ist klar: Beckenbauers Image hat bereits gewaltigen Schaden genommen, und das hat er sich selbst zuzuschreiben. Im Kern geht es nur noch um die eine Frage, zu welchem Zweck wurden über auffällig verschachtelte Pfade und unter falschem Siegel 6,7 Millionen Euro zu dem Katarer Mohamed bin Hammam, damals Finanzchef des Weltverbandes Fifa, transferiert? Unabhängig vom Ausgang der Ermittlungen: Es wäre ein letzter Dienst Beckenbauers am deutschen Fußball, für den er trotz seiner Rolle in dem Skandal Großes geleistet hat, wenn er endlich seinen Beitrag zur Lösung dieses Rätsels leisten würde." Mannheimer Morgen
Hauptsache die Wahrheit kommt ans Licht
"Das Verfahren macht klar, dass offenbar selbst einer wie Franz Beckenbauer sich nicht unbefleckt am Rand des Korruptionssumpfs halten konnte, der bis heute als Fifa firmiert. Das ist eine Organisation mit mafiösen Strukturen. Inzwischen ist nicht mehr die Frage, welche Turniere gekauft waren, sondern ob vielleicht doch welche regulär vergeben worden sein könnten. Die Fußball-WM 2006 gehörte nicht dazu." Kölner Stadtanzeiger
"Eine Überraschung ist es nicht, allenfalls eine Klärung der Situation. Die Schweizer Bundesanwaltschaft ermittelt im Zusammenhang mit der WM-Affäre 2006 also nicht nur gegen Wolfgang Niersbach, Theo Zwanziger und Horst Schmidt, was bekannt war, sondern auch - und zwar völlig zu Recht - gegen Franz Beckenbauer. Somit drohen auch dem "Kaiser", der das Endturnier letztendlich nach Deutschland geholt hat, strafrechtliche Konsequenzen, bis hin zu Gefängnis. Das deutsche WM-Macherquartett wird sich bald wegen des Verdachts der Untreue, Betrugs und Geldwäsche konkret äußern müssen. Die akribisch arbeitenden Schweizer Ermittler werden die "Wir-wissen-von-nichts-Masche" von Beckenbauer & Co. ganz schnell und systematisch bearbeiten und hoffentlich zur Wahrheit vorstoßen- Sommermärchen hin oder her." Südwest-Presse (Ulm)
"Überraschend ist allein der Umstand, dass erst jetzt gegen Beckenbauer ermittelt wird. Aufmerksamkeit verdient das Verfahren allein wegen seiner Person. Es macht klar, dass offenbar selbst einer wie Beckenbauer sich nicht unbefleckt am Rand des Korruptionssumpfs halten konnte, der bis heute als Fifa firmiert. Es ist eine Organisation mit mafiösen Strukturen. Inzwischen ist aber nicht mehr die Frage, welche der von ihr ausgerichteten Fußballturniere gekauft waren, sondern ob vielleicht doch welche regulär vergeben worden sein könnten. Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland gehörte definitiv nicht dazu." Mitteldeutsche Zeitung (Halle)
"Heute ist klar: Beckenbauer hat Lässigkeit zu oft mit Fahrlässigkeit verwechselt. Er hat erst lange geschwiegen, sich dann in typischer Kaiser-Manier als vertrauensseliger Herrscher inszeniert, der alles unterschrieben hat, was ihm seine Vasallen vorgelegt haben. Drängenden Fragen wich er aus." Leipziger Volkszeitung
"Beckenbauer umwehte als Spieler eine Aura des Besonderen, des Außergewöhnlichen. Er verkörperte auf dem Platz die Leichtigkeit des Seins. Da war mehr als fußballerisches Talent. Es war das beckenbauerische Selbstverständnis der Unantastbarkeit, das seine Art gegen den Ball zu treten prägte. Dieses Selbstverständnis hat er sich auch in der Karriere danach als Sportfunktionär und Geschäftsmann bewahrt - so ist das bis heute. Mit welcher Nonchalance er die schwerwiegenden Korruptionsvorwürfe im vergangenen Jahr rund um die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 abbügelte, war schon atemberaubend. Der leichtfüßige Dribbler umkurvte alle Untiefen mit dem schlichten Argument, von allem keine Ahnung gehabt zu haben. Wer's glaubt, wird selig." Badische Neueste Nachrichten (Karlsruhe)
Beckenbauer im Visier
"Überraschend ist an der Nachricht, dass auch gegen Franz Beckenbauer wegen des Verdachts der Untreue und Geldwäsche im Zusammenhang der Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ermittelt wird, allein, dass erst jetzt gegen ihn ermittelt wird. Seit längerem führt die Staatsanwaltschaft Frankfurt ein Verfahren gegen die anderen damals Verantwortlichen beim Deutschen Fußball-Bund (DFB). Ausgerechnet Beckenbauer, der ehemalige Chef der deutschen WM-Bewerbung, blieb unbehelligt und erklärte sich zum Trottel: Er habe 'immer blind unterschrieben, wenn sie meine Unterschrift brauchten' und 'nichts Unrechtes getan'. Dieses 'Sommermärchen' wird er den Schweizer Ermittlern erläutern müssen." Frankfurter Rundschau
"Ob die Schweizer Bemühungen zu einer unverstellten Sicht auf den unter falschem Vorwand organisierten Geldtransfer des DFB zur Fifa führen sowie alle Fragen um die Rolle Beckenbauers beantworten werden, ist sehr fraglich. Aber offenbar ist wieder Bewegung ins Spiel gekommen. Andernfalls hätten die Schweizer Behörden kaum ein Dreivierteljahr nach der Eröffnung des Verfahrens wegen des Verdachtes unter anderem des Betrugs und der Geldwäscherei an acht Orten gleichzeitig Durchsuchungen angeordnet. Im Fokus der Ermittlungen steht nunmehr Deutschlands Fußball-Ikone. Im Zuge der Freshfields-Ermittlungen war bekannt geworden, dass ein ominöser Geldtransfer nach Qatar über das Konto eines Schweizer Beckenbauer-Anwalts abgewickelt worden war." Frankfurter Allgemeine Zeitung
"Die Schweizer, naturgemäß penibel und exakt, wollen es jetzt ganz genau wissen und nehmen die einstige DFB-Führung mit Lichtgestalt Beckenbauer an der Spitze erneut ins Visier. Der Druck hat sich erhöht, der gute Ruf ist ohnehin ramponiert, jetzt drohen sogar Gefängnisstrafen. Gut so. In diesem Fall geht es nicht um das Sommermärchen, das uns Fußball-Deutschen ohnehin niemand mehr nehmen kann, sondern um Transparenz, Recht und Gerechtigkeit im Sport. Wer auch künftig gegen Staatsdoping in Russland wettern und sich über mafiöse Strukturen bei der Fifa aufregen will, der sollte zunächst vor der eigenen Haustüre kehren. Die Zeit des Schweigens ist vorbei." Westfälische Nachrichten (Münster) dpa/afp
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