Gigi Buffon und die Tränen eines Torhüterdenkmals
Gigi Buffon konnte nicht verhindern, dass Italien zum ersten Mal seit 60 Jahren bei einer Fußball-WM fehlt. Der 39-Jährige hat daraus Konsequenzen gezogen – nicht nur er.
Er hatte den Schweden gratuliert, sich vom Schiedsrichter verabschiedet. Dann stand er da und konnte nicht anders. Gigi Buffon wischte sich die Tränen aus den Augen. Man kennt den Torwart und Kapitän der italienischen Nationalmannschaft als Symbol und sportliches Vorbild seines Teams, auch wenn er früher mal ein respektloser Hallodri gewesen ist, wie er selbst von sich sagt. Als die italienischen Tifosi während der schwedischen Nationalhymne pfiffen, klatschte der Torhüter demonstrativ.
Zwei Stunden später stand dieses lebendige Denkmal des italienischen Fußballs aufgelöst vor den Mikrofonen und weinte. Italien hatte es am Montagabend im zweiten WM-Play-off im Giuseppe-Meazza-Stadion von Mailand nicht über ein 0:0 gegen Schweden hinausgeschafft. Im Hinspiel drei Tage zuvor hatten sich die Skandinavier mit 1:0 durchgesetzt. Erstmals seit 1958 nimmt der vierfache Weltmeister Italien deshalb nicht an einer WM-Endrunde teil.
„Das ist die Apokalypse“, folgerte die Gazzetta dello Sport. „Endstation Italien“, titelte La Repubblica. Von der „Stunde Null“ des italienischen Fußballs war die Rede, der Corriere dello Sport hatte am Dienstagfrüh bereits pauschale Schuldzuweisungen verteilt („Alle raus!“). Was vom großen Gefühlschaos übrig blieb, waren die Tränen des vielleicht größten italienischen Sportlers, der nun zumindest in der Nationalmannschaft zum Aufhören gezwungen ist. „Die Zeit vergeht, sie ist ein Tyrann“, sagte Buffon, der sich manchmal zum Poeten in kurzen Hosen aufschwingt.
„Es tut mir leid, wir haben versagt“, gestand der 39 Jahre alte Torwart von Juventus Turin. Seine Karriere sollte mit dem WM-Turnier in Russland enden, als einziger Spieler, der an sechs WM-Endrunden teilgenommen hätte. Das war der Plan. Stattdessen ist nun nach dem 175. Länderspiel auf brutale Weise Schluss. Mit Buffon scheiden auch die beiden anderen verbliebenen Weltmeister von 2006, Andrea Barzagli und Daniele De Rossi, aus dem Team. Giorgio Chiellini hört wohl ebenfalls in der Nationalmannschaft auf. „Das ist der Tiefpunkt der modernen italienischen Fußballgeschichte“, sagte der 33-Jährige.
Coach Ventura gilt als Hauptverantwortlicher für Italiens Scheitern
24 Tormöglichkeiten zählten die Statistiker für Italien im Rückspiel, nur vier für Schweden. Gegen Ende der ersten Halbzeit hatten es nacheinander Antonio Candreva (27. Minute), Ciro Immobile (40.) und Alessandro Florenzi (44.) versucht, jeweils ohne Erfolg. Trainer Gian Piero Ventura, der auf den gesperrten Marco Verratti verzichten musste, setzte auf den 25-jährigen Spielmacher des SSC Neapels, Jorghino. Ob dieser seine Entscheidung bereut, erstmals in einem Punktspiel für Italien anstatt für sein Heimatland Brasilien anzutreten, steht dahin. Italiens Nationalelf wird erst im September 2018 wieder ernsthaft gefordert sein, dann beginnt die neue Nations League der Uefa. Italiens Spiel wurde mit Jorginho schneller, ein Treffer gelang den Azzurri dennoch nicht.
Coach Ventura, der noch einen Vertrag bis 2020 hat, gilt als Hauptverantwortlicher für Italiens Scheitern. Er war für die Play-offs zu dem von seinem Vorgänger Antonio Conte bevorzugten, aber von ihm selbst eigentlich ungeliebten 3-5-2-System zurückgekehrt und hatte Neapels Lorenzo Insigne, einer der quirligsten Spieler der Serie A, im Rückspiel nicht eingesetzt. „Unverdient oder verdient, bei schlechten Ergebnissen ist im Fußball der Trainer verantwortlich“, sagte Ventura. Der 69-Jährige, dessen Entlassung als sicher gilt, steht nun vor den Trümmern seiner Karriere.
Der italienische Absturz hat gleichwohl eine längere Vorgeschichte. Wie zahlreiche Spieler berichten, trug das Team schon beim 0:3 Anfang September gegen Spanien in der WM-Qualifikation einen Knacks davon, der das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten untergrub. Damals stand bereits die Teilnahme an den Play-offs in Aussicht. Mit zwei Ausnahmen, den Europameisterschaften 2012 und 2016, macht die Nationalmannschaft seit dem WM-Titel 2006 „brutta figura“. Bei den Endrunden 2010 und 2014 scheiterte die Squadra Azzurra schon in der Vorrunde. Nie wurden offensichtliche Probleme, etwa die mangelnde Nachwuchsförderung, nachhaltig angegangen. Die Folge: Die Nationalelf stützte sich bis zuletzt auf ihre alten Helden von 2006, die Jüngeren konnten die Erwartungen nie ganz erfüllen. „Seit 20 Jahren haben wir keinen Spitzenfußballer mehr hervorgebracht“, schrieb der Corriere della Sera. Italien steht nicht zufällig vor einem fußballerischen Scherbenhaufen.
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