Magdalena Neuners neuer Blick und ihre harte Kritik am Skiverband
Sie war die beste Biathletin der Welt. Magdalena Neuner hatte alles, was Publikum und Werbewelt lieben. 2012 war Schluss. Heute hat sie das „wahre Leben“ für sich entdeckt.
Es beginnt mit ein bisschen Verwirrung. Wie heißt die junge Frau jetzt eigentlich? Neuner? Oder doch Holzer? Im Frühling hat Magdalena Neuner ihre Jugendliebe Josef Holzer geheiratet, ein Zimmerermeister aus Wallgau. Es war eine Hochzeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es gibt ein offizielles Bild.Darauf ist das Paar in bayerischer Tracht zu sehen. Ihr Dirndl wölbt sich über einem Babybauch. Er trägt einen Hut mit beeindruckendem Gamsbart. So macht man das in Wallgau im Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Genauso wie die Sache mit dem Namen. „Offiziell heiße ich jetzt Holzer“, sagt die ehemalige Biathletin.
Das steht so in ihrem Ausweis. Dort steht aber auch: Neuner. Als Künstlername. In ihren Werbespots will sie auch künftig mit ihrem Mädchennamen auftreten. Der Fachmann nennt das den größeren Wiedererkennungswert. Frau Neuner also. Oder Frau Holzer. Wie es beliebt. „Mir war wichtig, dass ich heiße wie mein Kind und wie mein Mann. Ich fände es komisch, wenn die beiden Holzer heißen und ich Neuner. Offiziell sind wir die Familie Holzer“, sagt die 27-Jährige.
Offiziell heißt Magdalena Neuner nun Holzer mit Nachnamen
Sie sitzt in der Lobby eines schicken Wallgauer Hotels. Dort empfängt sie immer Journalisten, die es in den Kurort verschlägt. Die Sessel sind tief, mit Samtbezug. Ein Kellner mit Weste und Fliege bringt Wasser und Apfelschorle. Einige Hotelgäste haben Neuner erkannt, tuscheln und winken schüchtern. Neuner lächelt und winkt zurück.
Die erfolgreichste Biathletin aller Zeiten gehört auch zwei Jahre nach ihrem Rücktritt noch immer zu den bekanntesten deutschen Sportlern. Ihre Fans nennen sie Gold-Lena, auch wenn sie die Zeiten als Sportlerin weit hinter sich gelassen hat. Seit drei Monaten hat Neuner eine Tochter. Verena Anna. Während des Gesprächs schiebt Neuners Mutter den Kinderwagen mit ihrer Enkelin durch Wallgau. Es regnet. „Kein Problem“, sagt Neuner. „Der Kinderwagen hat einen wasserdichten Überzug.“
Die junge Mutter sprüht nur so vor Energie. Sie ruckelt das Wasserglas kreuz und quer über den Tisch oder klimpert mit den Fingernägeln darauf herum. Keine Spuren durchwachter Nächte. Verena, die schon jetzt von allen Vreni genannt wird, ist ein „sehr braves Kind“, das nachts lieber schläft als schreit.
Neuners Handy vibriert. Eine Freundin ist Tags zuvor Mutter geworden und schickt die ersten Babyfotos. Neuners Augen leuchten. Stolz zeigt sie dann auch gleich Bilder der eigenen Tochter. Ein kleines Mädchen im blauen Strampler, von Muttern gestrickte Schuhe. Blonde Haare, die senkrecht vom Kopf abstehen. Große Augen. Zahnloses Lachen. Zuckersüß.
Fotos vom Kind? Bislang haben das nur Touristen geschafft
In den Zeitungen soll es keine Bilder mit dem Nachwuchs geben. Vermutlich hätte sie diese an ein Boulevardblatt verkaufen können, auch wenn hierzulande nicht die großen Summen gezahlt werden. Ganz anders in den USA, wo die Superstars Brad Pitt und Angelina Jolie elf Millionen Dollar für die ersten Bilder ihrer Zwillinge Vivienne und Knox erlösten. Hollywood und Wallgau sind aber nicht nur angesichts dieser Summen zwei verschiedene Welten. In der Alpenidylle ticken die Uhren anders. Langsamer. „Das Wichtigste ist, dass ich mein Kind schütze. Irgendwann wird es eh passieren, dass uns ein Fotograf erwischt“, sagt Neuner. Bis jetzt haben das nur ein paar Touristen mit ihren Handykameras geschafft.
Nachbarn schützen Neuner vor Paparrazi
Professionelle Versuche, ein Lena-Baby-Bild zu ergattern, hat es auch schon gegeben. Vor ein paar Wochen wurde ein Paparazzo im 1400-Seelen-Ort gesichtet. Die Menschen dort haben sich aber daran gewöhnt, ihre prominente Nachbarin vor neugierigen Touristen und Journalisten zu schützen. Diese werden auf die Frage, wo denn Magdalena Neuner wohne, entweder in die Prärie geschickt oder der Gefragte täuscht Unkenntnis vor. Als der Fotograf in einem schwarzen Golf auf der Lauer lag, „wurde ich sofort angerufen und gewarnt, wo er gerade ist“, erzählt Neuner und lacht spitzbübisch.
Für die junge Frau hat sich aber nicht nur die Bedrohungslage durch Fotografen geändert. Ihr Leben hat ein „neues Zentrum“ bekommen. „Das Kind ist da und auf einmal gibt es nichts Wichtigeres mehr auf der Welt.“ Die Relationen verschieben sich. Was im Gestern wichtig war, hat im Heute an Bedeutung verloren. Und umgekehrt. „Mein ganzes Leben hat sich um den Sport gedreht. Du stellst so viele Sachen hintan, die auch wichtig sind. Freundschaften zum Beispiel, manchmal sogar die eigene Beziehung. Und im Endeffekt ist es dann doch nur Sport, für den du alles opferst.“ Das „wahre Leben“, wie sie es nennt, hat für Neuner gerade erst begonnen. Das Leben mit einer Familie. „Schwangerschaft und Geburt, das ist so etwas Krasses. Das kann man sonst nirgends erleben.“
Für Neuner hat das "wahre Leben" gerade erst begonnen
Trotz ihrer Mutterfreuden hat Neuner aber den Biathlonsport nicht aus den Augen verloren. Im Februar ist sie zu den Olympischen Spielen nach Sotschi gereist und hat dort mit ansehen müssen, wie vor allem die deutschen Biathletinnen den hohen Erwartungen hinterherfuhren. In Erinnerung blieben die Bilder von weinenden jungen Frauen. Wieder zurück in Deutschland übte Neuner erste Kritik an den Trainern und warf ihnen mangelndes Einfühlungsvermögen vor.
Der Deutsche Skiverband (DSV) reagierte tatsächlich auf die Pleite von Sotschi. Tobias Reiter löste den umstrittenen Ricco Groß als Trainer ab. Zusammen mit Gerald Hönig betreut der 28-Jährige jetzt die Frauen-Nationalmannschaft. „Das war eine gute Entscheidung“, sagt Neuner. „Die Mannschaft braucht jemand, der ein bisschen mehr Gefühl für die jungen Mädels hat. Weltcup ist ein hartes Geschäft. Und weil sie momentan nicht so erfolgreich sind, ist es noch härter. Da brauchen sie einen Trainer, der voll hinter ihnen steht.“
Harte Kritik am Skiverband
Jetzt, im Gespräch mit unserer Zeitung, legt Neuner nach. Sie fordert einen grundsätzlichen Neuanfang. Trotz des Trainerwechsels seien die Strukturen im Verband weiterhin verkrustet. „Da ist alles alteingesessen, es wird nicht weitergedacht.“ Starke Worte.
Als Neuner ihre Karriere begann, konnte sie sich im Schatten erfolgreicher älterer Sportlerinnen entwickeln. Fehlschläge fielen nicht so auf. Später spendete sie selbst Schatten. Heute ist niemand mehr da, hinter dem der Nachwuchs in Deckung gehen kann. Mit Andrea Henkel hat die Letzte einer goldenen Generation ihre Karriere beendet.
In Wallgau hat es aufgehört zu regnen. Neuner schaut auf die Uhr. „Der Haushalt …“, sagt sie. Es gibt viel zu tun im Leben einer Mutter, deren Mann tagsüber in der Arbeit ist. Das Wasserglas ist längst leer. Der Kellner mit Fliege bringt Nachschub. Neuner nimmt einen Schluck und sagt, dass ihr der Abstand vom Sport guttue. Distanz schärft den Blick für Missstände. Die Funktionäre dagegen würden zwar sehen, dass die Erfolge nicht mehr da sind, „aber sie sind nicht bereit, umzudenken“. Die Trainingsmethodik sei veraltet, „da gibt es mittlerweile auch andere Erkenntnisse“.
Neuner plädiert aus ihrer Erfahrung heraus für mehr Individualismus. Im Verband aber herrsche die entgegengesetzte Philosophie. „Die wollen wieder dahin zurück, dass alle das Gleiche machen. Richtig wäre aber, ganz individuell auf die Sportler einzugehen. Das hat der DSV immer unterbunden. Deswegen habe ich am Schluss alle Lehrgänge ausgelassen.“
Neuner fordert mehr Individualismus beim Biathlon-Training im Deutschen Skiverband
Ihr Heimtrainer Bernhard Kröll habe seinen Sportlerinnen individuelle Trainingspläne auf die Lehrgänge des DSV mitgegeben, diese seien von den Bundestrainern aber oft unbeachtet geblieben. „Sie wollten, dass wir das Gleiche trainieren, damit sie uns vergleichen können – und am Ende der zwei Wochen war die Hälfte krank.“
Neuners Kritik zeigt Wirkung. Die neue DSV-Sportdirektorin Karin Orgeldinger hat jetzt angekündigt, sich mit ihr treffen zu wollen. Es könnte schwer werden, einen Termin zu finden, denn Neuner steigt wieder ins Berufsleben ein. In den kommenden Wochen dreht sie Werbespots. Auf Fuerteventura betreut sie Kandidaten für die ProSieben-Sendung „Schlag den Raab“. Mann und Kind reisen mit.
Vor die Fernsehkameras will Magdalena Neuner nicht mehr
Als Biathlon-Expertin wird man sie dagegen wohl auch in Zukunft nicht vor den Fernsehkameras sehen. „Dann wäre ich wieder in dieser Weltcup-Mühle drin und ständig unterwegs“, sagt Neuner. „Ich bin aber keine Biathletin mehr.“ Das gilt zwar auch für ihre einstige Mannschaftskollegin Kati Wilhelm, die vier Tage nach Neuner ihr zweites Kind bekam. Trotzdem hat sich die Frau mit dem feuerroten Haar für eine Fortsetzung des Lebens auf Achse entschieden und wird auch im kommenden Winter als Fernseh-Expertin im Einsatz sein. Für Neuner undenkbar. „Ich bin einfach zu gern daheim und mein Kind soll daheim aufwachsen.“
Dort soll die kleine Verena Anna in absehbarer Zeit Gesellschaft bekommen. Denn für Magdalena Neuner ist klar: „Verena wird kein Einzelkind bleiben.“
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