Mission Klassenerhalt: Für den BVB steht alles auf dem Spiel
Jürgen Klopp hat den spektakulärsten Absturz im Fußballjahr 2014 zu verantworten. Nun muss er für den BVB den Klassenerhalt sichern. Doch hat das Projekt Klopp noch eine Zukunft?
Man muss schon sehr genau zuhören, um hinter Jürgen Klopps Wortkaskaden so etwas wie ein Gefühl der Unsicherheit zu entdecken. Er habe in den vergangenen Monaten „nicht viel falsch gemacht“, sagt der Trainer von Borussia Dortmund, nun sei er „angemessen optimistisch“ und freue sich auf die Rückrunde, in der die Erfolgsbedingungen „dramatisch besser“ seien als vor der Saison. Klopps Gesichtsfarbe wirkt gesund zwischen all den blassen Januar-Menschen, er trägt eine silbern glänzende Jacke, die nach Fortschritt aussieht, seine Schritte federn, seine Sätze fließen. „Ich bin immer noch relativ gut drauf“, sagt er vor den ersten beiden Rückrundenspielen am in Leverkusen und am Mittwoch gegen den FC Augsburg.
Diese Zuversicht ist faszinierend, immerhin ist Klopp so etwas wie der Generaldirektor des spektakulärsten Absturzes im Fußballjahr 2014. Aber dann kommt doch dieser Satz, hinter dem die Zweifel hervorschimmern. Als jemand fragt, wie es am Ende der Winterpause um sein „schwarz-gelbes Seelenleben“ bestellt sei, denkt er lange nach. „Angespannt, wie vor einer sehr, sehr wichtigen Prüfung“, antwortet er. „Wo man, egal wie gut man vorbereitet ist, nicht reingeht und sagt: Kommt, fragt, was ihr wollt, ich habe die Antwort schon. Wir sind uns vollkommen klar darüber, dass wir einen ganz langen und ganz schweren Weg vor uns haben.“
Jürgen Klopp: "Haben ganz langen und ganz schwere Weg vor uns"
Jürgen Klopp, 47, steht mit seinen Dortmundern vor einer Rückrunde der offenen Fragen. Vordergründig geht es um den Klassenerhalt, um die Stabilisierung einer völlig verunsicherten Fußballmannschaft. Ebenso interessant ist aber die Frage nach der Zukunft der Borussia, die noch vor kurzer Zeit „der zweite Leuchtturm neben Bayern München“ sein wollte, wie Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sagte. Und die Frage nach der Zukunft des Trainers. Klopp und der Verein befinden sich nach dem Sturz auf den vorletzten Platz der Bundesligatabelle nicht nur inmitten einer abenteuerlichen Krise. Es kursiert der Verdacht, dass die Kraft dieser einstmals so fruchtbaren Verbindung nachgelassen hat. Der BVB und Klopp scheinen in ihrer Entwicklung zu stagnieren. Während die Fußballwelt sich weiterdreht, lässt Borussia Dortmund nicht von den Rezepten der vergangenen Jahre ab. Für die Rückrunde ist die Rückkehr zum einstmals erfolgreichen Vollgasfußball geplant. Der Gedanke, dass ein Festhalten am Bewährten zu den Ursachen für die Krise gehören könnte, ist tabu.
In vielen modern geführten Unternehmen wurde längst erkannt, dass Fortschritt eng mit dem Begriff Wandel verknüpft ist. Bei der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA haben sie erst versucht, die wunderbaren Erfolgsjahre zu konservieren, und jetzt wollen sie die Konzepte der guten Zeit wieder zum Laufen bringen. Klopp sei der beste Trainer, den es für den BVB gibt, sagen die Chefs, „es wäre auch komisch, diese Meinung sechseinhalb Jahre zu vertreten und dann plötzlich umzuschwenken“, findet Geschäftsführer Watzke.
Und das ist auch nachvollziehbar. Jürgen Klopp ist zweifellos ein begnadeter Fußballtrainer, ein rhetorisches Naturtalent, ein hochintelligenter Mensch. Einer, der noch große Erfolge feiern könnte, das wissen auch Watzke und Sportdirektor Michael Zorc. So einen lässt man nicht einfach gehen. Aber vielleicht ist die Verbindung mittlerweile zu eng, zu vertraut. Vielleicht ist die viel beschworene Zuneigung zwischen Verein, Spielern und Fans auf der einen und Klopp auf der anderen Seite dem Erfolg nicht zuträglich.
Sportphilosoph: Dortmund ist "eine Anomalie der Liga"
Dortmund sei „eine Anomalie der Liga“, hat der Sportphilosoph Wolfram Eilenberger in einem Interview mit der Zeit erklärt und gemutmaßt: „Kein Verein hängt derart stark von seinem Trainer ab wie die Borussia. Aus der totalen Identifikation, die Jürgen Klopp einfordert, ist über die Jahre die faktische Identität geworden: Dortmund ist Klopp, Klopp ist Dortmund.“ Ähnlich argumentiert der TV-Experte Oliver Kahn, der meint, „eine zu starke Nähe“ zwischen Trainer und Mannschaft könne eine Ursache für den Absturz sein.
Es ist unklar, ob solche Fragen intern debattiert werden, viele Beobachter zweifeln daran. Öffentlich beschwören die Verantwortlichen immer wieder dieselben Ursachen für den sagenhaften Misserfolg: Das Team habe unter physisch-taktischen Defiziten gelitten, die im Sommer nach der zerfledderten Vorbereitung mit Verletzungen, Neuzugängen und erst spät eingetroffenen WM-Teilnehmern entstanden. „Die Jungs hatten zu wenig Training, zu wenig Substanz, dadurch sind Konzentrationsfehler entstanden, Konzentrationsfehler führen zu individuellen Fehlern, und die sind im Fußball am schwersten auszumerzen“, betet Klopp in jedem Interview vor. Diese Theorie hat einen wahren Kern, sie dient aber auch dem Zweck, andere Wahrheiten zu verdecken und das fragile Innenleben der Mannschaft zu schützen. Klopp hat das schon mehrfach angedeutet.
Wurde Jürgen Klopp nach den Erfolgen des BVB zu überheblich?
Erst wenn der Klassenerhalt geschafft ist, sei er „bereit, mit jedem darüber zu reden, was in der Vorrunde war“, sagt er. Im Moment sollen die Ängste in seiner Mannschaft ebenso wenig zum öffentlich diskutierten Thema werden wie die Zerwürfnisse und die Zweifel an der Zukunft des Projektes. Klopp schützt sein Team und versucht den Eindruck zu erwecken, dass alles gut wird, wenn man ihm nur folgt. „Ich war schon immer ein Typ, der den Raum betritt, und viele sagen: Der könnte das regeln. Der Einzige, der wusste, dass das problematisch werden könnte, war häufig ich“, hat er in einem Interview mit dem Stern gesagt. Während andere unter dieser Art der Verantwortung leiden, zieht Klopp Kraft aus dem Zutrauen der Leute.
Derart beflügelt hat er einen Gipfel erklommen, der in einer Welt liegt, die für Klubs wie Real Madrid, Bayern München oder den FC Barcelona nicht erreichbar ist. Die deutsche Meisterschaft 2011, das Double aus Ligatitel und DFB-Pokalsieg 2012 und der Einzug in das Champions-League-Finale 2013 glichen einer Utopie, die von vielen Fußballromantikern herbeigesehnt wird: Sich mit Konzepten, Leidenschaft und einem hingebungsvollen Publikum gegen die Macht des großen Geldes zu behaupten. Das renommierte englische Fußball-Magazin Four-Four-Two erklärte den BVB deshalb vor zwei Jahren zum „heißesten Klub Europas“.
Im Subtext hieß das: „Jürgen Klopp ist der heißeste Trainer“, er liebte diese Rolle. Es war aber auch die Zeit, in der ihm vorgeworfen wurde, er sei blasiert und neige zur Überheblichkeit. Klopp beleidigte Schiedsrichter, stellte Journalisten für kritische Fragen an den Pranger und warf dem früheren Münchner Trainer Jupp Heynckes vor, er plagiiere seine Ideen. „Wie die Chinesen in der Wirtschaft.“ Die taz schrieb damals: „Hallo, ihr da draußen, könnt ihr bitte mal aufhören, den Mann zu mögen?“
Bleibt Jürgen Klopp auch in Zukunft Trainer beim BVB?
In den Monaten des Niedergangs ist Klopp wieder demütiger geworden. Er hört besser zu, ist höflicher, wirkt weniger selbstherrlich, aber natürlich will er zurück auf den Gipfel. Wie die besten Dortmunder Spieler steht er vor der Frage, ob das mit Borussia Dortmund möglich ist, oder ob der Zenit dieses Projektes überschritten ist.
Mario Götze und Robert Lewandowski haben sich auf der Basis solcher Überlegungen dem FC Bayern angeschlossen, Ilkay Gündogan und Marco Reus zögern, ihre Verträge zu verlängern, Mats Hummels werden Verbindungen nach England nachgesagt. Und Klopp? „Wenn wir die Klasse halten, dann ist dieses Trainerteam natürlich auch das richtige, um weitere Schritte für die Zukunft einzuleiten“, sagt er.
Nicht nur Philosoph Eilenberger würde das für falsch halten. „Offenbar ist seine Gestaltungskraft verbraucht (...) Wenn das Pferd tot ist, muss man absteigen“, sagt er. Die großen Motivationsreden Klopps verlören an Wirkung, sagen andere Kritiker. Solche Geschichten sind derzeit immer wieder zu hören.
BVB will für einen Aufbruch in die Zukunft stehen
Aber sind Probleme dieser Art wirklich Symptome eines endgültigen Scheiterns? Oder handelt es sich nicht eher um simple Folgen des Misserfolgs, die sich in besseren Zeiten verflüchtigen? Die Fans haben sich jedenfalls nie gegen den Trainer gewandt, sie wünschen sich eine neue Blütezeit mit Klopp. Der gebürtige Stuttgarter ist ein Held in Dortmund, mehr noch als jeder Spieler, mehr als jeder Funktionär. Klopp steht nicht nur für die vielleicht magischste Ära der Dortmunder Fußballgeschichte, sondern auch für die Hoffnung der Stadt, sich von der Degeneration des Ruhrgebietes zu emanzipieren.
Der Fußballautor Christoph Biermann beschreibt in seinem Buch „Wenn wir vom Fußball träumen“ die Geschichte, die Eigenheiten und die Gegenwart des Fußballs im Revier, und im Zuge dieser Recherche hat er mit dem Marketing-Experten Markus Rejek gesprochen. Rejek sollte 2007 mit der Agentur Ufa-Sports helfen, dem beinahe insolvent gegangenen BVB eine neue Identität zu geben. „Im Strukturwandel nicht zu jammern“, sei ein Aspekt dieses neuen Selbstbildes gewesen. „Dortmund war mal Stahl und Kohle, sind wir aber nicht mehr, und das wird auch nicht mehr kommen. Warum sollen wir das noch hochhalten?“, sagt Rejek.
Schalke schärft immer noch sein Profil als Malocher-Klub, Gelsenkirchen gilt als Musterbeispiel für gescheiterten Strukturwandel. Dortmund und der BVB wollen hingegen für einen Aufbruch in die Zukunft stehen, und Klopp ist ein leuchtendes Symbol für eine mögliche Erfüllung dieser Sehnsucht geworden. Es ist schwer zu sagen, was schlimmer für die Menschen wäre. Wenn dieser Trainer sportlich scheitert, oder wenn er irgendwann sagt: „Ich will zu Manchester United gehen, um endlich wieder Titel zu gewinnen.“
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