Sprinterin Verena Sailer startet in ein neues Leben
Die 100-m-Europameisterin tritt überraschend vom Leistungssport zurück. Das Studium hat jetzt Vorrang. Gestern bestritt sie in Berlin ihr letztes Rennen
Es klang nicht nach Abschied, was Verena Sailer vor einigen Wochen im Gespräch zu erzählen hatte. Die deutschen Meisterschaften in Nürnberg standen bevor und die WM in Peking. „Ich werde laufen“, sagte die gebürtige Illertissenerin, „solange mir nichts anderes im Leben wichtiger ist.“ Es schien damals nichts zu geben.
Darüber hinaus war die 29-Jährige nach zähem Saisonstart gerade mächtig in Fahrt gekommen. Die Qualifikation für Peking hatte sie mit starken 11,20 Sekunden in der Tasche. Später holte sie sich in Nürnberg ihren achten deutschen Meistertitel.
Die WM verlief dann allerdings enttäuschend. Mit schwachen 11,41 Sekunden schied sie im Vorlauf aus. Kein Grund, den Kopf hängen zu lassen, und schon gar keiner, die Karriere zu beenden.
Verena Sailer: Prioritäten in meinem Leben verschieben sich
Umso überraschender kam am Wochenende ihre Entscheidung, mit dem Leistungssport Schluss zu machen. „Ich merke, dass sich die Prioritäten in meinem Leben verschieben und ich mich auf meine Karriere abseits der Laufbahn fokussieren möchte“, erklärte die 29-Jährige ihren Schritt. Künftig sollen das Studium und der spätere Beruf Vorrang haben. In den nächsten Monaten möchte sie nach dem Bachelor in Sportmanagement auch den Master in Wirtschaftspsychologie abschließen. „Ich freue mich auf das, was kommt, werde neue Dinge ausprobieren und meine Erfahrungen aus zwölf Jahren Leichtathletik einbringen“, sagt sie.
Sailer, die in Kempten aufgewachsen ist und in Mannheim lebt, hat ein Jahrzehnt den deutschen Frauensprint geprägt. Ihren größten Erfolg feierte sie bei EM 2010 in Barcelona. Sie gewann Gold, war damit die schnellste Europäerin und die schnellste weiße Frau der Welt. Dies in einer Disziplin, die von den USA, Jamaika und anderen Sportnationen, in denen Dopingkontrollen lasch gehandhabt werden. In Deutschland ist das anders. Sailer hat viele Wettkampf- und Trainingskontrollen erlebt. „Entspannt“, wie sie sagt. „Ich hatte immer ein gutes Gewissen und hab aufgepasst, was ich esse und trinke.“
Der Sprint ist besonders dopinganfällig, weil er zu den Königsdisziplinen der Leichtathletik zählt. Hier ist bei internationalen Meetings für die Stars das meiste Geld zu verdienen. Deutsche Athleten haben es international selten in Endläufe geschafft – ausgenommen Verena Sailer.
Die 29-Jährige hat der deutschen Leichtathletik, die immer auf der Suche nach Aushängeschildern ist, ein Gesicht gegeben, mit dem sich werben ließ. Kein Wunder, dass DLV-Präsident Clemens Prokop und Bundestrainer Idriss Gonschinska ihren Schritt bedauern. Immerhin: Es gibt Anwärterinnen auf die Sailer-Nachfolge. Haase, Pinto oder Lückenkemper – alle jung und in der Lage, in die Nähe von Sailer-Zeiten zu laufen.
Gestern Abend startete Sailer ein letztes Mal beim Internationalen Stadionfest (ISTAF) in Berlin. In einem hochklassigen Feld lief sie in 11,37 Sekunden als Fünftplatzierte durchs Ziel. Ein Schlussakt mit dem sie zufrieden sein konnte. Ab heute gibt es in ihrem Leben wichtigere Dinge. (mit dpa)
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