The Red Army: Das eisige Herz der Roten
"The Red Army" ist mehr als eine Eishockey-Dokumentation. Der Kinofilm wirft ein Schlaglicht auf die schaurig-faszinierende Zeit der Sowjetunion.
„Andrej Khomutows Vater lag im Sterben. Er fragte, ob er das Team verlassen und seinen Vater ein letztes Mal sehen könne. Viktor Tichonow antwortete: Mach dich bereit für das nächste Spiel.“ - Slawa Fetissow
Eishockey in der Sowjetunion war mehr als ein Spiel, es war auch Propaganda. Das kommunistische Regime wollte beweisen, dass das Kollektiv egoistischen Stars überlegen ist. Doch auch ein Kollektiv besteht aus Menschen wie Slawa Fetissow. Einer der besten Verteidiger aller Zeiten ist der Erzähler des Dokumentarfilms „The Red Army“ über die Mannschaft des Armeeklubs ZSKA Moskau und das sowjetische Nationalteam. Über den eigenwilligen Spielstil der Russen, ihre Erfolge und den Trainertyrannen Viktor Tichonov, den nicht nur Fetissow hasste. Ein Scherz bei ZSKA ging so: Wenn man ein Spenderherz benötigt, soll man das von Tichonow nehmen. Es ist noch unbenutzt.
Fetissow erzählt in dem Film von Regisseur Gabe Polsky seine Geschichte vom Volkshelden zum Staatsfeind und wieder zurück. Der Verteidiger zählte zum Wunderblock mit dem Abwehrkollegen Alexej Kassatonow, sowie den Stürmern Igor Larionow, Sergej Makarow und Wladimir Krutow. ZSKA Moskau war in den 80er Jahren das beste Vereinsteam der Welt.
Der Preis, den Spieler dafür zahlen mussten, war hoch. Elf Monate im Jahr war die Mannschaft kaserniert. Die Spieler durften nicht bei ihren Frauen, bei ihren Familien wohnen. Auch im Sommer wurde viermal am Tag trainiert. So hart, bis einige Spieler Blut im Urin hatten, berichtet Torhüter Tretjak. Unter Tichonov herrschte ein Geist wie im Gulag, im Arbeitslager.
Die Basis für den Erfolg der Roten Armee auf Eis hatte allerdings sein Vorgänger Anatoli Tarasow gelegt. Der dicke Bär mit feinem Geist verstand Eishockey als höhere Kunst. Tarasow nahm Anleihen beim Schach, er führte Trainingselemente aus dem Ballet ein. Die Russen kreiselten solange um ihre Gegner, bis diesen schwindlig wurde. Bei Gastspielen in Nordamerika deklassierte ZSKA die Kanadier und die USA, die kapitalistischen Klassenfeinde.
Doch nach dem Zerfall der Sowjetunion wollen die Stars mehr als nur Ruhm und Leninorden. Sie wollen Dollars. Tichonow verspricht Fetissow mehrmals die Ausreise zu den Fleischtöpfen der nordamerikanischen Profiliga NHL. Doch immer wieder bricht der Despot an der Bande sein Versprechen. Fetissow erhält Trainingsverbot. In seiner Not kehrt er zu seinem alten Coach Tarasow zurück und trainiert mit dem Eishockeyschläger auf Rasen. Irgendwann dürfen die Russen ins Dollar-Paradies auswandern, müssen aber einen Großteil ihres Gehalts nach Moskau überweisen. Im hohen Eishockey-Alter von 36 Jahren gewinnt Fetissow mit Detroit den Stanley-Cup. Als der Verteidiger den Pokal in Moskau zeigt, realisiert er, dass dies nicht mehr das Land seiner Kindheit ist.
Auch weil das Eishockey im Riesenreich am Boden liegt, lässt sich der einstige Weltklasse-Verteidiger von Wladimir Putin zurücklocken und wird Sportminister. Slawa Fetissow erzählt mal ernst, mal im Plauderton und scheucht den Regisseur Gabe Polsky weg, weil er jetzt arbeiten muss. Ihr Amis seid so faul. Die lockere Art tut dem Film gut, der Sport und Politik, Erfolge und Leiden in Spielszenen, Archivmaterial oder bewegenden Spielerstatements verquickt. Dokumentarfilm-Unterhaltung der besten Art. Nicht nur, aber vor allem für Eishockeyfans ein Muss. Am Ende schwärmt der von Krankheit gezeichnete Wladimir Krutow: „Manchmal träume ich davon, wie wir zusammen Eishockey spielen.“ Wenige Wochen nach den Aufnahmen stirbt Krutow.
Filmstart ist am Donnerstag, 29. Januar
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