Markus Rehm: Wie mit einer Sprungfeder
Markus Rehm holt sich mit 8,24 Metern in Ulm den Meistertitel. Sofort beginnt die Diskussion darüber, welche Rolle die Prothese des Athleten dabei gespielt hat.
Markus Rehm saß auf der kleinen Tribüne im Pressezentrum und bekam sein Grinsen nicht mehr in den Griff. Gerade war er deutscher Meister im Weitsprung geworden. Da kann man sich freuen, klar. Nach 8,24 Metern war er in der Sandgrube des Ulmer Donaustadions gelandet. Ein gewaltiger Satz. Aber der Titel allein erzählt nicht die Geschichte des Markus Rehm. Vor elf Jahren verlor er bei einem Wakeboard-Unfall seinen rechten Unterschenkel. Seitdem ist er auf eine Prothese angewiesen. Wenn er Sport macht, besteht die Gehhilfe aus Carbon, kostet 10 000 Euro und ist gebogen wie eine Sprungfeder. Am Samstag durfte er als erster Behinderter bei Meisterschaften der Nichtbehinderten teilnehmen. Das allein war schon eine Sensation.
Dass er den Wettbewerb dann auch noch gewann, war ein Paukenschlag – und traf alle Beteiligten völlig unvorbereitet. Niemand hatte damit gerechnet, immerhin hatte Rehms Bestweite bis zum Wochenende noch deutlich unter acht Metern gelegen. In Ulm hieß es hinter vorgehaltener Hand, die Verantwortlichen hätten gehofft, Rehm würde hinterherspringen. Seit Samstag aber ist er deutscher Meister, die EM-Qualifikationsnorm von 8,05 Metern hat er pulverisiert.
Schon im Vorfeld war diskutiert worden, ob und wie stark Rehm von seiner Prothese profitiert. Eine Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Und das ist jetzt ein Problem. Denn es ist völlig unklar, ob die Leistungen Rehms mit denen der Nichtbehinderten vergleichbar sind. Weitsprung-Bundestrainer Uwe Florczak räumte freimütig ein, da habe man beim Deutschen Leichtathletik-Verband wohl etwas verschlafen. Es seien bisher noch keine Messungen durchgeführt worden.
Erst in Ulm hatten Biomechaniker Rehms Anlaufgeschwindigkeit, den Absprungpunkt und den Absprungdruck gemessen. Ein Ergebnis ist noch nicht bekannt. „Wir brauchen Daten. Wir hätten das vorher überprüfen sollen“, sagte Florczak. Sein persönlicher Eindruck sei, dass die Anlaufgeschwindigkeit Rehms nicht so hoch gewesen sei, wie es für einen Sprung dieser Weite eigentlich normal ist. Den Rückschluss sprach er nicht aus, aber seine Aussage lässt sich durchaus dahingehend interpretieren, dass er die Carbonfeder für ein Hilfsmittel hält, das seinen Träger bevorteilt.
Deutlicher wurde Sebastian Bayer, Weitsprung-Europameister von 2012. „Ich glaube nicht, dass das vergleichbar ist. Das Bein mit der Prothese ist ein paar Zentimeter länger, was natürlich ein Vorteil ist. Mein Sprungbein ist genauso lang wie das andere.“
Auf einmal war in Ulm also aus der eher beiläufig geführten Diskussion ein Politikum geworden. Fair Play gehe vor Inklusion (gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen) , befand der Weitsprung-Bundestrainer. Was auch Rehm, der von der ehemaligen Weltklasse-Speerwerferin Steffi Nerius trainiert wird, selbst so sieht. Er wolle auf keinen Fall Erfolge feiern, die nicht mit fairen Mitteln zustande gekommen sind. Die Diskussion um seine Prothese finde er zwar anstrengend, „aber notwendig. Wir müssen jetzt schnell Gespräche führen und Messungen machen, dass wir einen fairen Wettkampf bekommen.“ Seine Leistung in Ulm habe ihn aber auch selbst überrascht. „Das war einfach ein perfekter Sprung, und ich weiß nicht, ob ich so einen je wieder hinbekomme.“
Ob er es Mitte August bei der EM in Zürich noch einmal versuchen darf, ist völlig offen. Der Europäische Verband hat angekündigt, nicht über eine Startrechtgenehmigung entscheiden zu wollen. „Der europäische Kontinentalverband kann diese Entscheidung nicht treffen, dies muss der Weltverband IAAF tun“, sagte EAA-Generaldirektor Christian Milz.
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