Vier „Hühner“ auf der Erfolgsleiter
Sie gackern, eigenen Angaben zufolge, oft und viel. Erst recht, nachdem sie in der Staffel Bronze gewonnen haben: Fessel, Böhler, Nystad und Herrmann wachsen über sich hinaus.
Da saßen sie. Abgekämpft. Überglücklich. Vollgepumpt mit Adrenalin. Sie versuchten, das Phänomen Staffel zu erklären und ein Rennen Revue passieren zu lassen, das sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht erhofft hatten. Rückkehrerin Claudia Nystad, die die Oberstdorferin Katrin Zeller aus dieser 4 x 5-Kilometer-Staffel verdrängt hatte, war besonders gelöst. Sie gackerte am lautesten, bezeichnete sich und ihre Kolleginnen selbstkritisch als „Hühner“, und meinte zum Mythos Staffel: „Ich kann’s nicht erklären. Ich weiß nur, dass es so ist. Es ist immer wieder so emotional.“
Wieder hatte die deutsche Staffel zugeschlagen – wie 2002 in Salt Lake City (Gold), wie 2006 in Turin und wie 2010 in Whistler (jeweils Silber). Wieder hatte sie im Kollektiv die besseren Einzelsportler anderer Nationen besiegt. Beispiel gefällig? Die Norwegerinnen brachten es in der Summe ihrer aktuellen Weltcup-Platzierungen auf die Zahl zehn (Johaug 1, Jakobsen 2, Björgen 3 und Weng 4.), die deutschen dagegen auf 108 (Herrmann 5, Nystad 29, Böhler 31 und Fessel 43).
Dass Björgen & Co. von einem Dutzend Skitechniker derzeit kein vernünftiges Material unter die Füße geschnallt bekommen, soll die Leistung der DSV-Staffel aber nicht schmälern, meinte auch Bundestrainer Frank Ullrich. Und so schüttete der 56-jährige Thüringer, der im Frühjahr 2012 von den Biathleten zu den Langläufern gewechselt war und dort nun sein erstes Edelmetall verbuchte, kübelweise Lob aus: „Diese Mannschaft hat mit Emotion und Leidenschaft trainiert und gekämpft. Sie haben sich zusammengerauft, sind ein Team geworden.“
Auch DOSB-Präsident Alfons Hörmann nannte das Staffelrennen seinen „emotionalsten Höhepunkt“ der ersten Olympia-Woche: „Was die vier nach ihren jeweiligen Vorgeschichten gezeigt haben, ist einzigartig“, zollte Hörmann Respekt.
Schon Nicole Fessel als Startläuferin wuchs über sich hinaus. Die 30-jährige Oberstdorferin, die bei ihren bisherigen zwei Olympiateilnahmen leer ausgegangen war, heftete sich an die Fersen der Norwegerin Heidi Weng. Als Sechste, mit Tuchfühlung zur Spitze, übergab sie an Steffi Böhler. Die 32-Jährige vom SC Ibach, die sich nach überstandener Krebserkrankung belohnt sieht für ihre großen Mühen, lief wie schon bei Platz sechs über 10 Kilometer ein beherztes Rennen und meinte hinterher: „Alle Puzzleteile haben zusammengepasst.“
Dem Druck standgehalten
Und auch Claudia Nystad hielt dem Druck stand. Die mit 36 Jahren Älteste im Quartett hatte die Rolle der Schlussläuferin dankend abgelehnt („Damit wäre ich völlig überfordert gewesen“), hörte aber doch eine innere Stimme. „Du musst es jetzt zeigen – sonst bist du weg.“ Nystad hielt Anschluss an die Finnin Niskanen und schickte Denise Herrmann als Zweite in die Schlussrunde. Die träumte zwischenzeitlich sogar vom ganz großen Triumph, war am letzten Anstieg etwas übermütig und übernahm kurzzeitig sogar die Pole-Position. „Ich konnte am Anfang relativ locker mitlaufen. Deswegen ärgert es mich schon ein bisschen, dass ich dann auf der Zielgeraden doch mega-blau war“, so die 25-Jährige, die der heranbrausenden Schwedin Charlotte Kalla und der Finnin Krista Lahteenmaki den Vortritt an der Ziellinie überlassen musste.
Claudia Nystad, die Evi Sachenbacher-Stehle mit zwei Gold-, drei Silber- und einer Bronze-Medaille bei Olympia überflügelt hat und nun die erfolgreichste deutsche Langläuferin ist, meinte schlicht: „Medaillenzählen macht keinen Sinn. Man lebt ja immer nur im Moment. Und ich weiß, dass man die Momente so extrem genießen muss, wie’s nur geht.“ Sprach’s und forderte auf zur „ordentlichen Party“. Doch da folgten nicht alle. „Es ist nicht mehr viel passiert“, meinte die angeschlagene Fessel, die für den Teamsprint am Mittwoch absagen musste.
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