In Zeiten des abnehmenden Lichts
In seinem ersten Roman schlägt der gelernte Mathematiker in seiner Ost-Familiensaga einen großen Bogen von Mexiko über Russland in die DDR.
Dass ein Roman, der sich 50 Jahre deutscher Geschichte – vor allem der des Ostens unseres Landes – vorgenommen hat, in Mexiko sein erzählerisches Finale findet, macht schon einmal neugierig auf Eugen Ruges Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“.
Wir schreiben den September 2001. Alexander Umnitzer ist schwer krank und hat mit der Aufarbeitung seiner Familiengeschichte ordentlich zu tun. Die Mutter Irina, eine Russin, hat der Alkohol dahingerafft. Kurt, der Vater, ist dement. Und Alexander ergreift die Flucht in die Nostalgie.
Mexiko, das Land, in dem die Großeltern Wilhelm und Charlotte im Exil lebten, bevor sie 1952 zurückgeholt wurden, um die DDR mit aufzubauen. Doch Alexander findet schnell heraus, dass politische Visionen sich auflösen in flirrendem Licht und Indifferenz. „Alle pazifischen Sonnenuntergänge, so hat er festgestellt, sind gleich: groß und rot und von einer – er weiß noch nicht, ob beruhigenden oder beunruhigenden – Gleichgültigkeit.“
Gleichgültigkeit oder die Einsicht, dass Geschichte sich einfach ereignet, wie schon so oft in seinem Leben? Der 11. September 2001 jedenfalls gibt dem teilnahmslos wirkenden Alexander auf seiner Suche nach Träumen ein Rätsel auf. „Es ist immer dieselbe Zeitung. Immer die, die mit dem Flugzeug, das in ein Hochhaus fliegt. Er liest langsam. Er liest die Artikel wieder und wieder, bis er einigermaßen versteht.“
Der Naturwissenschaftler und Theaterregisseur Eugen Ruge hat in seinem ersten Roman einen großen Bogen gespannt. Bereits 2009 wurde sein Manuskript mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet.
Mancher mag sich an Thomas Manns Roman „Die Buddenbrooks“ erinnern. Wo es Mann um den Zerfall einer großbürgerlichen Familie ging, beschreibt Ruge, wie sozialistische Ideale zerbröckeln, die Kleinbürgerlichkeit der DDR auch nicht durch die Beschwörungsformeln Ulbrichts und seiner Nachfolger zu übertünchen ist.
Er baut mit großer Nüchternheit Spannung auf
21 Jahre nach der Wiedervereinigung ist nur mit Verletzungen und Narben zusammengewachsen, was zusammengehört. Vielleicht regt gerade deshalb die Thematik verstärkt Autoren zu Romanen vor allem über die DDR-Vergangenheit an.
Uwe Tellkamps erfolgreicher Endzeit-Roman „Der Turm“ etwa zeigte, dass das Interesse der Leser für die Geschichte unseres Landes ungebrochen ist. Die ARD verfilmt jetzt das Tellkamp-Epos über das Leben der Bildungsbürger in Dresden zwischen 1982 und 1989. Doch Ruges Roman lässt sich schwer mit dem „Turm“ vergleichen. Eher schon – wenn überhaupt – mit Arno Geigers Buch „Es geht uns gut“, das die Veränderung eines vagen von der Geschichte geprägten Familienbegriffs gleichfalls aus der Perspektive mehrerer Generationen erzählt.
Doch Ruge ist anders: Der 1954 in Soswa (Ural) geborene Mathematiker arbeitet wie ein Seismograph und baut die Spannung zwischen politischen Hoffnungen und systembedingter Brüchigkeit mit einer naturwissenschaftlichen Nüchternheit auf. Wobei Ruge dennoch ein Gespür für Stimmungen entwickelt und damit seine Figuren für den Leser greifbar macht.
Was sich am deutlichsten in der Figur Kurts zeigt, dem Sohn der Exil-Mexikaner Wilhelm und Charlotte. Er überlebt ein stalinistisches Lager und kehrt 1956 mit seiner russischen Frau Irina in die DDR zurück. Stets geplagt von einem Gefühl der Fremdheit, stürzt er sich dennoch in die Geschichtswissenschaften und gibt den Historiker der Arbeiterbewegung.
Und er redet sich ein, wie schön es doch sein kann mitunter in dem Arbeiter- und Bauernstaat. „Es roch nach Regen und Wald und ein bisschen nach Zweitakter-Abgasen. Kurt atmete tief, atmete alles ein, schnüffelte dem Trabbi hinterher, und der süßliche Abgasgeruch kam ihm auf einmal vor wie der Geruch der Sünde.“
Möglicherweise etwas klischeehaft, aber in der ostdeutschen Geschichte nachvollziehbar, beschreibt Ruge das Verhältnis Kurts zu seinem Sohn Alexander. Der ist ein Wohnungsbesetzer im Prenzlauer Berg und nicht imstande, das Große und Ganze des Sozialismus zu sehen. Wie gut Ruge schreiben kann, zeigt der aus mehreren Perspektiven erzählte 1. Oktober 1989. Alt-Stalinist Wilhelm feiert an diesem Tag seinen 90. Geburtstag. „Jedes Jahr bekam er irgendeinen Orden verliehen. Jedes Jahr wurden irgendwelche Reden gehalten. Jedes Jahr wurde derselbe miserable Kognak in denselben bunten Aluminiumbechern serviert.“ Zu seinem Glück bekommt Wilhelm den Fall der Berliner Mauer nicht mehr mit, weil er an dem Tag noch stirbt. „Die Zeit des abnehmenden Lichts“ ist eine Metapher auf das Ende politischer Utopien wie vertrauter Strukturen.
Die unterschiedlichen Blickwinkel der Generationen, aus denen Ruge erzählt, machen diese Deutschstunde besonderer Art zu einem faszinierenden Stück Familiengeschichte.
Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts. Rowohlt, 432 Seiten, 19,95 Euro;
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