06.03.2010

Die Lebensfragen wichtiger nehmen als die Lernfragen

Wertingen Rund 100 interessierte Zuhörer fanden den Weg in die Montessori-Schule Wertingen, um den Vortrag des bekannten Reformpädagogen Otto Herz zu verfolgen. Neben Hartmut von Hentig war Herz ein Mitbegründer der Laborschule Bielefeld und zählt sich selbst zu den Reformpädagogen, zu denen auch große Namen wie Celestin Freinet, Rudolf Steiner und Maria Montessori gehören. "Allen Reformpädagogen gemeinsam ist die positive Auffassung vom Kind. Sie sehen das Kind in all seinen Potenzialen und wollen ihm zur Entfaltung helfen."

Kritischer Blick auf die Gesellschaft

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Außerdem haben Reformpädagogen laut Herz einen kritischen Blick auf die Gesellschaft. "Sie haben einen kritischen Geist und ein gesellschaftspolitisches Gestaltungsinteresse." In einem historischen Überblick zog er einen Bogen von den Jahren um 1920, als die Reichsschulkonferenz im Sinne eines Kompromisses - also ohne entwicklungs-psychologische Begründung - die vierjährige gemeinsame Schulzeit festlegte, bis zur Frage nach einer Pädagogik für eine unbekannte Zukunft. "Unsere Kinder stehen vor großen Herausforderungen. Wir sollten also die Lebensfragen wichtiger nehmen als die Lernfragen." In einer modernen Schule gebe es vier gleichwertige Partner: Kinder, Eltern, Pädagogen, Partner im Gemeinwesen. "Diese Partner müssen sich in einem demokratischen Prozess zusammenfinden und überlegen, was wichtig ist."

Zu einer positiven individuellen Entwicklung des Kindes hat Otto Herz klare Vorstellungen: "Menschen brauchen Lebenszuversicht und eine Vorstellung von der Welt, in der sie leben möchten. Manche sehen sich eher als Opfer von Umständen, andere nehmen ihr Schicksal in die Hand." Diese Prägung beginne früh: "Es gibt Menschen, die aufgrund frühkindlicher Sozialisation eine Hoffnung auf Erfolg entwickeln und Menschen, die rasch eine Furcht vor Misserfolg entwickeln." Aber alles, was einmal gelernt wurde, könne man umlernen.

Deshalb, so Herz, laute die Botschaft in einer modernen Schule: "Schön, dass Du da bist - wir stärken Deine Stärken und damit Dein Selbstvertrauen." Auf der Grundlage positiver Erlebnisse würden Menschen gewonnen, die sich ihren Schwächen stellen. Herz: "Gute Lernwelten gehen auf solche elementaren Bedürfnisse ein." Kinder können die Erfahrung machen: "Wenn Du das nicht kannst, kriegst Du Hilfestellung. Alle helfen, die da sind." Deshalb lernten auch Ältere mit Jüngeren gemeinsam. Die Schule sei ein helfender Ort.

Zum Schluss seiner Ausführungen beschäftigte sich der Referent noch mit zwei Fragen zur Schulqualität: "Wie kann es gelingen, hohe Anforderungen mit hoher Zuwendung zu paaren? Und wie gelingt es, eine große Menge intelligenten Wissens mit hoher Zufriedenheit zu vereinen?" Eine Schule sei nur dann gut, wenn "die Anforderungen immer im Horizont der individuellen Erreichbarkeit liegen".

Es müsse also gelingen, ein pädagogisches Feld der Zuwendung zu schaffen, in dem gleichzeitig eine hohe Anforderung an intelligentes Wissen gestellt werde. "Das reine Reproduzieren können Maschinen heute viel besser. Es geht wirklich darum, nicht einfach das Vorfindbare hinzunehmen, sondern die Welt neu zu gestalten", resümierte Otto Herz. (pm)

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