An der Börse bewegt sich was
Zum ersten Mal seit langem stehen milliardenschwere Erstnotizen an. Es dürften nicht die letzten Börsengänge 2018 sein
Mit Aktien wenig am Hut, schlechte Erfahrung mit Telekom-Papieren und eine traditionelle Skepsis gegenüber angelsächsischem Kapitalismus – Börsengänge rufen bei den Deutschen selten Euphorie hervor. Und auch hiesige Unternehmen halten sich mit großen Erstnotizen zurück. Nun aber gibt es Bewegung: Zwei deutsche Großkonzerne wollen mit Geschäftsteilen aufs Börsenparkett.
Die Deutsche Bank will eine Minderheit ihrer Fondstochter DWS für geschätzt rund zwei Milliarden Euro an die Börse bringen. Und Siemens hat beschlossen, einen Teil der Medizintechnik-Sparte zu platzieren. Noch im März könnte es so weit sein. Mit sechs bis zehn Milliarden Euro Erlös könnte der Börsengang zum größten seit jenem der Telekom werden, der 1996 beim ersten Schritt umgerechnet zehn Milliarden Euro einspielte.
Seit jener Zeit, als Telekom, Deutsche Post und Infineon aufs Parkett gingen, dümpelt der deutsche Markt für Börsengänge mehr oder weniger vor sich hin. Mit den Plänen von Siemens und DWS schöpfen Fachleute Hoffnung. „Als Eisbrecher könnten die Mega-Emissionen den Weg bereiten für weitere Börsengänge in Deutschland“, sagt Martin Steinbach, Kapitalmarktexperte bei der Beratungsgesellschaft Ernst & Young.
Die Vorzeichen stehen gut. Mit der Flut billigen Geldes, seit Jahren steigenden Aktienkursen und der starken Weltwirtschaft ist der Risikohunger der Investoren immens. Im vergangenen Jahr schafften weltweit so viele Firmen den Sprung aufs Parkett wie seit 2007 nicht mehr. „Diese Entwicklung dürfte sich fortsetzen“, glaubt Steinbach. Er rechnet 2018 in Deutschland mit bis zu 18 Börsengängen. Als heißer Kandidat gilt etwa das Münchner Familienunternehmen Knorr-Bremse. Dem Arzneihersteller Dermapharm gelang schon der erste Börsengang des Jahres, wenn auch holprig inmitten der jüngsten Aktienturbulenzen.
Die Zeiten, in denen Deutsche Post und Telekom Kleinanleger in Scharen an die Börse trieben, sind allerdings vorbei. Zur Jahrtausendwende, als Telekom-Chef Ron Sommer die Börsenglocke läutete und Schauspieler Manfred Krug für die „Volksaktie“ warb, waren Börsengänge ein Massenereignis. Der Ausgang ist bekannt: Telekom-Aktien stürzten mit dem Platzen der Internetblase ab, Kleinanleger verloren viel Geld. Davon hat sich die Aktienkultur hierzulande nie ganz erholt. Nur gut zehn Millionen Bundesbürger besitzen laut Deutschem Aktieninstitut direkt oder über Fonds Aktien. Und bei Börsengängen zeichnen kaum noch Privatanleger Papiere. Das belastet auch den Markt für Börsengänge. „Vom ökonomischen Gewicht her müsste Deutschland jährlich rund 40 Erstnotizen verzeichnen“, sagt Steinbach. Und auch das Volumen der Börsengänge ist hierzulande deutlich geringer als im Ausland. Während in Deutschland 2017 alle 14 Börsengänge 2,8 Milliarden Euro einspielten, lag das Volumen in den Vereinigten Staaten laut Ernst & Young bei 31,6 Milliarden und in China bei fast 40 Milliarden Euro. Der größte Börsengang des vergangenen Jahres, der des Lieferdienstes Delivery Hero, lag bei 990 Millionen Euro. Zum Vergleich: Der US-amerikanische Nachrichtendienst Snap kam auf gut das Dreifache.
Immerhin haben sich Delivery Hero oder der Liefer-Konkurrent HelloFresh für den Börsengang hierzulande entschieden – sie hätten auch in New York oder London Investorengeld einsammeln können. Unter Biotech-Firmen etwa ist der Gang ins Ausland längst üblich. „Dass sich Firmen aus dem E-Commerce für Deutschland entscheiden, ist ein gutes Zeichen für den Standort“, sagt Steinbach. „Das hat auch Signalwirkung für andere Unternehmen.“ Alexander Sturm, dpa
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