Brauchen wir im Alter einen Nebenjob?
Professor Burkhard Heer von der Universität Augsburg beschäftigt sich mit den Rentensystemen verschiedener Länder. Für Deutschland hat er gute und schlechte Nachrichten.
Herr Professor Heer, was erwartet einen Familienvater, der 1600 Euro brutto verdient und in 20 Jahren in Rente gehen will?
Heer: Wenn er 40 Jahre einzahlt, landet er bei etwa 700 bis 800 Euro Rente. Damit kann man keine großen Sprünge machen, das ist kurz vor der Armutsgrenze.
Was passiert, wenn unser Rentensystem zusammenbricht, wie es Hans- Werner Sinn, Chef des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, prophezeit?
Heer: Mit dieser Rente kann der Familienvater dennoch fest rechnen.
Herr Sinn hat behauptet, Deutschland benötige 32 Millionen Zuwanderer, wenn die Rente finanzierbar bleiben soll. Stimmt das?
Heer: Mit Einschränkung, ja. Die Bevölkerung entwickelt sich dahin, dass immer weniger Erwerbstätige die Rente für immer mehr Rentner zahlen müssen. Es gibt zwei wesentliche Strategien, mit denen man die Rentenversicherung finanzierbar machen kann. Entweder man zahlt geringere Renten: Das hat die rot-grüne Regierung 2002 und 2004 umgesetzt. Oder man erhöht die Beiträge. Eine weitere Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, ist eine massive Zuwanderung zu fördern, um so Arbeitskräfte ins Land zu holen. Hier hat Herr Sinn Recht, wenn er von 32 Millionen Einwanderern spricht. Auch ich komme bei meinen Berechnungen auf diese Zahl.
Vielleicht sollte das System das Renteneintrittsalter nicht vorschreiben
Welche dieser Strategien ist für Deutschland die beste?
Heer: Stellen Sie sich vor, man müsste für 32 Millionen Migranten – das wären vielleicht 15 Millionen Haushalte – Wohnraum und Infrastruktur schaffen. Das wird sicherlich nicht über Nacht gehen. Zuwanderung kann also nur eine von vielen Maßnahmen sein. Ich bin außerdem der Meinung, jeder sollte selber entscheiden, ob er bis 60, 65, oder bis 70 arbeiten will. Warum sollte ein System das Renteneintrittsalter vorschreiben? Das macht keinen Sinn. Dann könnte einer wie ich, der körperlich nicht hart arbeiten muss, auch mit 70 noch arbeiten.
Entwicklungen wie die Finanzmarktkrise im Jahr 2008 werfen oft alle Prognosen, auch für das Rentensystem, über den Haufen. Das zeigt sich etwa in Spanien oder Griechenland. Kann auch in Deutschland alles anders kommen?
Heer: Das hängt sehr stark von den ordnungspolitischen Rahmenbedingungen ab. Seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, haben diese leider sehr gelitten. Da wäre zum Beispiel die Rente mit 63: Wir wollen, dass die Rentensysteme in Griechenland oder Spanien finanzierbarer gemacht werden und fordern Arbeitsmarktreformen. Dabei machen wir in Deutschland genau das Gegenteil und reduzieren unsere Arbeitszeit auf 63. Das war ein falscher Schritt.
Was machen Sie, um Ihre Familie im Alter abzusichern?
Heer: Ich mache das ganz klassisch: Ich habe ein Haus gekauft und besitze ein breitgestreutes Aktienportfolio. Für unvorhergesehene Ausgaben, wie zum Beispiel ein kaputtes Auto, halte ich außerdem ein Guthaben auf einem Tagesgeldkonto.
Bei einer privaten Rentenversicherung ist die Rente am Ende oft mager
Können Sie private Rentenversicherungen empfehlen?
Heer: Bei einer privaten Rentenversicherung muss man bedenken, dass einmal die Versicherung und einmal die Bank zuschlagen und jeweils Verwaltungskosten erhoben werden. Am Ende ist die Rente oft so mager, dass sich das in der Regel nicht mehr lohnt.
Was raten Sie Menschen mit einem geringen Einkommen?
Heer: Heiraten. Für einen Single-Haushalt sind 800 Euro Rente zu wenig. Aber mit einem Zweipersonenhaushalt sparen sie viele Kosten, man braucht beispielsweise nur eine Waschmaschine und spart Miete. Ich rate dazu, jemanden zu heiraten, den man aller Wahrscheinlichkeit nach auch noch im Alter mag. Das reduziert das Armutsrisiko schon mal sehr stark. Dennoch werden wir es noch erleben, dass viele, die ihr Leben lang weniger als 2000 Euro brutto verdient haben oder auch mal ein paar Jahre arbeitslos waren, sich im Rentenalter noch einen 450-Euro-Job suchen müssen. Das Schicksal wird mehrere Leute ereilen.
Soll man seine Eltern darauf vorbereiten, dass sie im Rentenalter einen Minijob an der Supermarktkasse annehmen müssen?
Heer: Das wollen wir nicht hoffen. Aber wenn keine Vorsorge getroffen wurde, dann ja. Oder man muss sich darauf einstellen, unter sehr ärmlichen Umständen zu leben.
Eine mögliche Lösung: Vielverdiener könnten nur bis zu einer maximalen Höhe Rente bekommen
Jetzt sprechen wir davon, dass es in Deutschland Leute geben könnte, die 40 Jahre eingezahlt haben und trotzdem an der Armutsgrenze landen. Wie sieht es in anderen Ländern aus?
Heer: In Frankreich zum Beispiel schrumpft und altert die Bevölkerung nicht so stark. Die Franzosen haben deutlich mehr Kinder als wir. In Italien jedoch ist die Situation noch schlimmer als bei uns. Die haben ihr Rentensystem zwar in den 90er Jahren reformiert, aber die Übergangszeit ist dramatisch für Italien. Dort gehen Leute heute noch teilweise mit Mitte 50 in Rente, und bekommen dann noch 70 Prozent ihres letzten Einkommens. Das ist ein sehr großzügiges System gewesen. Dafür hat das italienische Rentensystem keine Beitragsbemessungsgrenze. Bei uns in Westdeutschland zahlt man Rentenbeiträge nur bis zu einem Einkommen von 6050 Euro. Für alles darüber zahlt man keine Beiträge.
Sie schlagen vor, wer viel verdient, sollte auch über diese Grenze hinaus Beiträge zahlen?
Heer: Das könnte eine weitere Lösung für das Problem des deutschen Rentensystems sein. Vielverdiener könnten nur bis zu einer maximalen Höhe Rente bekommen und alles, was darüber an Beiträgen gezahlt wurde, könnte dazu benutzt werden, geringere Renten zu finanzieren. Außerdem bin ich der Meinung, dass auch Ärzte, Anwälte und Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen sollten. Wie in der Schweiz. Die Rentenbeiträge sollten auf das gesamte Einkommen, auch auf Mieteinnamen und Kapitaleinkünfte erhoben werden. Natürlich mit einem niedrigeren Beitragssatz.
Interview: Katrin Fischer
Burkhard Heer (Jahrgang 1966) ist Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Augsburg. Der zweifache Familienvater aus Friedberg beschäftigt sich in seiner Forschung mit Verteilungsökonomik.
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