Elektrisierende Aussichten auf dem Automarkt
Das Auto der Zukunft ist verblüffend intelligent – und es hat keinen Verbrennungsmotor mehr. Höhere Reichweiten sollen die „Stromer“ für Kunden interessanter machen.
Das Auto der Zukunft? Darüber lässt sich leidenschaftlich philosophieren. Besser man bemüht ein praktisches Beispiel. Und das geht so: Sie müssen zum Flughafen. Ihr Auto chauffiert Sie selbstständig dorthin. Es checkt Sie noch auf dem Weg ein und lässt Sie am richtigen Flugsteig aussteigen. Dann parkt sich der Wagen von alleine.
Aber er steht nicht nutzlos herum, sondern bietet sich einem anderen Fahrer an – für die Zeit, in der Sie auf Reisen sind. Der andere, eben gelandet, hat per Smartphone einen Mietwagen von privat gebucht. Also holt ihn Ihr Auto ebenfalls am richtigen Flugsteig ab. Der Mieter bezahlt natürlich für die Zeit der Nutzung.
Rechtzeitig vor Ihrer Landung kommt Ihr Auto zurück zum Flughafen. Die Batterien hat es inzwischen aufgeladen, unterwegs außerdem die frischen Hemden von der Reinigung abgeholt. Es wartet wieder am richtigen Ausgang. Sie entscheiden auf der Rückfahrt, ob sie selber steuern möchten oder nicht.
Das Szenario lässt sich fast unendlich weiterspinnen. Science- Fiction? Nein, eine Vision, die schneller Wirklichkeit werden könnte als viele denken. Meint jedenfalls Daimler-Chef Dieter Zetsche und hält auf dem Pariser Autosalon (noch bis 16. Oktober) eine nach Ansicht von Branchenkennern wegweisende Rede zur Zukunft des Automobils. „Es ist an der Zeit, den Schalter umzulegen“, sagt der Manager, der mit Mercedes-Benz eben den 42. (!) Rekordmonat in Serie feierte. Ausruhen kann er sich nicht auf diesem Erfolg: Vier große Herausforderungen sehen die Autohersteller auf sich zukommen. „Und jeder dieser vier Faktoren ist geeignet, unsere Industrie auf den Kopf zu stellen“, sagt Zetsche.
Erstens geht es um Vernetzung. Nur wenn das Auto jederzeit online ist und mit seiner gesamten Umgebung und anderen Fahrzeugen kommuniziert, kann sich der Fahrer zurücknehmen und sich wichtigeren Dingen widmen als Lenken, Gas geben und Bremsen.
Was zu Faktor 2 führt, dem autonomen Fahren. Das geschieht heute schon in begrenztem Umfang; und man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass 2020 die meisten Strecken vom Auto alleine bewältigt werden können – soweit es die Sicherheit und die Gesetzgebung zulassen.
Aus heutiger Sicht noch spannender ist Zetsches dritter Faktor: Teilen statt besitzen, ein Grundsatz der Wirtschaft der Zukunft. 23 Stunden pro Tag parkt ein Auto im Schnitt. In dieser Zeit kann es genauso gut von einem anderen Fahrer benutzt werden – eine Art Airbnb für Autos. Airbnb ist eine mächtig groß gewordene private Zimmervermittlung, mit der eine Menge Menschen Geld verdienen – zulasten der klassischen Hotels.
Und die vierte, auf dem Pariser Salon offensichtlichste Säule: Elektromobilität. Im Jahre 2016 beherrschen die Stromer erstmals eine ganze Autoschau. Fast alle Hersteller haben ihre alternativ angetriebenen Fahrzeuge ins Rampenlicht gerückt. Sie sind in klinisch sauberen Farben – Weiß, Silber, Hellblau – gehalten und genügen sich selbst. Fast nichts mehr erinnert an das von Models flankierte PS-Schaulaufen vergangener Tage. Audi präsentiert sich unter einer riesigen, blitzenden Lichtinstallation. Opel inszeniert seine Fahrzeuge vor der sattgrünen Kulisse eines Dschungels.
Der Star ist auch unter den E-Modellen wieder einer „vom Daimler“, wie der Besucherandrang nahelegt: die Studie „Generation EQ“, ein Prototyp, der eine eigene Elektromarke aus Stuttgart begründen soll. In drei Jahren ist der Marktstart geplant. 2025 will der Konzern 15 bis 25 Prozent der Flotte elektrisiert haben – Betonung auf „will“. Die Daimler-Tochter Smart ist der erste Hersteller, der die gesamte Modellpalette auch batteriebetrieben anbietet – zu Preisen ab knapp 22.000 Euro. Der Winzling schafft 160 Kilometer mit einer Akkuladung; wer ihn zwischendurch für nur zwölf Minuten an die Strippe hängt, gewinnt 30 Kilometer.
Opels Stromer namens „Ampera-e“, der bereits 2017 erscheint, soll mit einer Ladung mehr als 500 Kilometer weit kommen – ein weiterer Besuchermagnet auf der Messe, dessen Preis leider nicht genannt wurde. Auch die Fahrleistung von BMWs i3 (ab 36.150 Euro) wurde vergrößert, auf rund 300 Kilometer. Der bayerische Autokonzern plant außerdem, weitere Modelle mit Hybrid- und Elektromotor auszustatten. München hat mit der „i“-Familie schon seit längerem eine eigene Elektromarke am Start.
Renault, europäischer Marktführer im Elektrosegment, schickt eine Neuauflage des Modells Zoe mit 400 Kilometern Reichweite ins Rennen. Das Auto ist zu Preisen ab 24.900 Euro ab sofort bestellbar. Nur etwas günstiger (ab 23400 Euro) ist der „Leaf“ der Renault-Konzernschwester Nissan. Seinem Akku geht nach 250 Kilometern die Puste aus.
VW legt seinen elektrisch betriebenen Golf neu auf – wenn auch zunächst nur mit 300 Kilometern Batterie-Power und für stolze 34.900 Euro – ein Zwischenschritt. Vielversprechender ist ein weiteres für 2020 geplantes Kompakt-Modell namens „I.D.“. Es soll nicht nur bei der Reichweite, sondern selbst beim Preis einem Diesel-Golf entsprechen, sagt VW-Markenchef Herbert Diess. Porsche geht in der Preisgestaltung sogar noch weiter: Der Panamera 4 E-Hybrid ist mit knapp 108.000 Euro der „günstigste“ Vertreter der Baureihe.
Obwohl der Verbrenner in Paris einen schweren Stand hat, sind nicht alle Hersteller von reinrassigen E-Modellen überzeugt. Der französische Hersteller PSA (Peugeot, Citroën) will sich alles offenhalten. Spezifische Elektrodesigns seien nicht geplant, sagte PSA-Entwicklungschef Gilles Le Borgne.
Dabei hatte ausgerechnet die von Dauerstau und Abgasen geplagte französische Hauptstadt am Sonntag vor der Messe abermals ein Experiment gewagt: 650 Kilometer Boulevards – auch die Champs-Élysées –, Straßen und Gassen waren Fußgängern und Radfahrern vorbehalten. Halb Paris ohne Autos – es soll, sagen Beobachter, gespenstisch schön gewesen sein.
Die Diskussion ist geschlossen.
Tobias Schaumann hat zu dem Artikel in der Printausgabe einen Leitartikel veröffentlicht. Darin stellt er die Prognose auf, dass die E-Mobilität jedenfalls komme, ledig der Zeitpunkt sei noch offen. Auch wenn in Paris neue Reichweiten angepriesen werden, ist die gefühlte Reichweite nicht ausreichend. Tobias Schauer fordert deshalb richtigerweise den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Dennoch: die heutige Akkutechnologie ist noch nicht geeignet, die automobile Wende zu bedienen.
Zu diskutieren ist jedenfalls, welche Beteiligung der Staat leisten soll, ohne nur die Industrie zu bedienen. Welcher Beitrag ist von den Konsumenten zu leisten und was bekommen sie dafür? Wer darf verdienen an einer Infrastruktur, die mit Steuermitteln geschaffen wurde? Und wie kann eine Lösung gestaltet werden, die auch jenseits der deutschen Grenzen funktioniert? Ohne diese Antworten wird E-Mobilität länger auf sich warten lassen als es notwendig wäre.
Mehr Details zu Leitartikel und zu Lösungsansätzen bei der Akkutechnologie unter
http://az-beobachter.blogspot.de/2016/10/wem-gehort-die-automobile-zukunft.html