Firmen in der Region setzen immer mehr auf eigene Kinderbetreuung
Unternehmen setzen zunehmend auf eigene Kinderbetreuung. Die Vorreiter in der Region sind allerdings nicht die großen Betriebe, sondern Firmen mit einem hohen Frauenanteil.
Robert will heute als Erster der kleine Pinguin sein. Der Dreijährige grinst, dann dreht er sich, wie es der Liedtext vorgibt, zwischen all den Kindern, die im Stuhlkreis dasitzen. „Pitsch, patsch, Pinguin“, singen die anderen. Und Robert weiß, dass er sich nun einen anderen Pinguin suchen muss, der mit ihm übers Eis watschelt.
Robert kennt das morgendliche Ritual, das Pädagogin Kim Goerens jeden Tag mit den Kindern durchspielt. Seit anderthalb Jahren verbringt der Bub acht Stunden hier, im „Zwergenlabor“. Für Roberts Eltern ist die Einrichtung eine praktische Sache. Beide arbeiten ein paar hundert Meter weiter – bei der Firma Synlab mit dem großen Labor.
In Sachen Kinderbetreuung ist der Labordienstleister Synlab ein Augsburger Vorzeigeunternehmen. Vor zwei Jahren hat das Unternehmen im Deuterpark in Oberhausen die erste Großtagespflege der Stadt eingerichtet. Zusammen mit dem benachbarten Jobcenter sind Betreuungsplätze für zehn Kinder entstanden. Gründe dafür gab es viele, sagt die Projektverantwortliche Christine Becker. Weil es schwer ist, Fachkräfte für den Laborbereich zu finden. Weil der Großteil der Beschäftigten weiblich ist. Und weil man den Frauen einen Anreiz bieten möchte, nach der Elternzeit zurück an ihren Arbeitsplatz zu kommen.
Auf dem Land war die Krippe lange Zeit unbekannt
Während Konzerne wie Siemens seit Jahren versuchen, Fachkräfte mit Kinderkrippen zu locken, sind solche Überlegungen bei den großen Unternehmen in der Region rar, sagt Andrea Gärtner, Expertin für Fachkräftesicherung bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben. Synlab ist eine der wenigen Ausnahmen, ebenso der Neu-Ulmer Hersteller Evobus und MAN Diesel. Vor anderthalb Jahren hat der Motorenhersteller in Augsburg einen eigenen Kindergarten mit 76 Plätzen eröffnet und dafür zwei Millionen Euro investiert. In Kürze beginnt auch der Augsburger Roboter- und Anlagenbauer Kuka mit dem Bau einer eigenen Einrichtung, die spätestens ab November für 30 Kinder geöffnet sein soll. Ähnliche Pläne gibt es beim Hubschrauberbauer Eurocopter in Donauwörth.
Viele Firmeninhaber sehen in Sachen Kinderbetreuung die Kommunen in der Pflicht. Vor allem aber, sagt IHK-Expertin Gärtner, sei der Druck, der auf den Firmen lastet, bislang zu gering. Ein produktionsorientierter Standort wie Schwaben biete in erster Linie hoch qualifizierte Jobs für Männer. Sich um die Betreuung zu kümmern, sei aber leider nach wie vor Aufgabe der Mütter. „Pionierarbeit leisten vor allem die Firmen, die einen hohen Frauenanteil haben“, sagt Gärtner.
So wie die Stadtsparkasse Augsburg, die 1971 den ersten Betriebskindergarten der Stadt gründete. Und wie Marille Hiller und ihr Mann, die den Tabakgroßhandel Hit in Oberndorf führen. 21 Mitarbeiter beschäftigt das Ehepaar, zumeist Frauen in Teilzeit. Als sie 2001 den ersten Betriebskindergarten in Kreis Donau-Ries eröffneten, gab es auf dem Land weder Mittagsbetreuung noch Ganztagesgruppen. „Krippe war damals ein Fremdwort“, sagt die Firmenchefin. #
Die zweifache Mutter, die immer im Berufsleben stand, hat am eigenen Leib erfahren, wie stressig diese Mehrbelastung sein kann – und wie wichtig eine gute Betreuung ist. 48,5 Stunden pro Woche hat der firmeneigene Hit’s Kid Club geöffnet. Die 15 Plätze stehen auch Kindern frei, deren Eltern nicht hier arbeiten. Bevor das Bayerische Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz 2006 die Unterbringung in Kinderkrippen regelte, finanzierte das Ehepaar das alles aus eigener Tasche. Das Dachgeschoss im Verwaltungsgebäude hat Robert Hiller zum Teil selbst umgebaut. Ein hübscher, großer Raum ist entstanden mit Küche, Krabbelkreis und Traumzelt, ein Bad und ein Ruheraum. Dort halten die Kinder ihren Mittagsschlaf, während die Mütter unten arbeiten.
Unternehmen wollen Frauen Anreize zum Wiedereinstieg liefern
In ihrer Branche, sagt Marille Hiller, brauche sie Mitarbeiter, die gute EDV-Kenntnisse haben, damit die bestellte Ware am nächsten Tag beim Kunden landet. Und sie möchte den Frauen Anreize bieten, nach der Geburt der Kinder zurück in den Job zu kommen. Das sei effektiver, als stets neue Leute einzulernen.
Dagmar Fritz-Kramer will noch mehr. Die 42-Jährige möchte junge Ingenieure für ihren Betrieb im Unterallgäu gewinnen. Eine eigene Kindertagesstätte und ein familienfreundliches Umfeld sind dafür gute Argumente. Ihr Einsatz hat sich gelohnt, nicht nur, weil Auszeichnungen, etwa als familienfreundlichstes Unternehmen Deutschlands, folgten. „Wir konnten gute, neue Führungskräfte gewinnen, aber auch viele gut ausgebildete halten“, betont die Chefin des Fertighausherstellers Baufritz in Erkheim. Auch ihre Kinder, Ferdinand und Bernadette, gehen in die Firmen-Kita.
Im Zwergenlabor in Augsburg singen die Zwerge noch ein Lied. Acht weitere Kinder und eine zweite Gruppe sollen im Herbst dazu kommen. Leiterin Kim Goerens wundert das nicht: „Wenn die Eltern den Kopf freihaben zum Arbeiten, geht es auch dem Kind gut.“
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