Schon wieder mehr im Wagen: Wie Supermärkte Kunden verleiten
Im Einkaufswagen liegt meist mehr als geplant. Verbraucherschützer behaupten, Händler verführten ihre Kunden. Ein Ladenlayouter verrät, was hinter den vermeintlichen Tricks steckt.
Auf dem Einkaufszettel steht es schwarz auf weiß: Milch, Eier, Butter und Wurst. Vielleicht noch Müsli, frisches Obst. Das war’s. Hinter der Kasse stellt der Kunde dann meist aber fest, dass viel mehr im Wagen gelandet ist. Zwei Drittel aller Einkäufe, behaupten Experten, laufen spontan ab. Verbraucherschützer sind sicher: Das ist kein Zufall. Supermärkte versuchten, die Kunden mit Tricks zum Kauf zu verleiten. Von der „Einkaufsfalle Supermarkt“ ist bei der Verbraucherzentrale Bayern gar die Rede. Was ist dran an diesem Vorwurf?
Die großen Handelsketten beschäftigen eigens sogenannte Laden-Layouter. Sie planen, welches Produkt wo zu stehen hat. So kitzeln sie das eine oder andere Prozent mehr Umsatz heraus. Einer dieser Laden-Layouter ist Markus Kuntke. Der gelernte Kaufmann ist für Rewe tätig. 20 Märkte entwirft er pro Jahr, zuletzt den neuen City-Markt in der Maximilianstraße, der am Dienstag eröffnet. Kuntke sagt: „Die Zeiten, in denen mit Tricks gearbeitet wurde, sind vorbei.“ Der Kunde durchschaue heute sehr wohl, wenn er verführt werden soll. Ein paar Kniffe bei der Gestaltung eines Marktes gibt es aber sehr wohl. Kuntke verrät sie.
Das Sortiment
Wer glaubt, dass er in jedem Markt von Rewe, Edeka oder anderer Ketten immer das gleiche bekommt, irrt. „Unser Ziel ist es, den Laden so aufzubauen, dass er dem Kundenumfeld entspricht“, sagt der Layouter. Deswegen geht sein erster Blick nicht in die Räume, die er zu gestalten hat. Kuntke blickt auf das Drumherum: Was gibt es im Viertel? Schulen, Altenheime, Büros oder Wohngebiete? Wer lebt hier? Welche Nationalitäten sind vertreten? Dementsprechend werden die Abteilungen gestaltet: Mal gibt es mehr Essen zum Mitnehmen für Berufstätige wie jetzt in der Maxstraße, mal mehr Dinge des täglichen Bedarfs für die Anwohner. Mal werden mehr türkische Produkte in die Regale gepackt, mal mehr Bio oder Günstiges.
Der Aufbau
Schon aufgefallen? Fast alle Supermärkte sind so gestaltet, dass man vom Eingang zur Kasse gegen den Uhrzeigersinn läuft. Zufall oder Taktik? In den 60er und 70er Jahren ging man beim Konzipieren eines Marktes sehr in die Tiefe, erklärt Kuntke. Man wusste, dass viele Menschen beim Laufen einen Rechtsdrall haben, dass es sie bei dieser Laufrichtung eher zu den Regalen hinzieht. Folglich wurden die Märkte so gebaut. Heute misst man diesem Faktor kaum noch Bedeutung bei. Allerdings: Die Kunden haben sich daran gewöhnt. Deswegen immer noch der gleiche Aufbau. Auch in der Maxstraßen-Filiale wird der Kunde gegen den Uhrzeigersinn durch die Regalgassen geführt. Ist es räumlich mal nicht möglich, seien Ausnahmen kein Problem, so der Layouter.
Ähnlich ist auch die Produktabfolge in den Läden. Gut 18 000 Produkte müssen in einem durchschnittlichen Markt untergebracht werden, im kleinen City-Markt sind es immerhin 13 000. Ganz vorne Obst und Gemüse. Es sei das „Herzstück des Marktes“, sagt Kuntke. Die Auslagen vermittelten ein wenig den Charakter eines Wochenmarktes. „Das versetzt die Leute in eine bestimmte Einkaufsstimmung.“ Die weitere Anordnung erfolgt anhand bestimmter Produktgruppen, die dem Tagesablauf der Menschen angepasst sind. „Wenn der Kunde etwas zum Frühstück sucht, dann soll er alles auf einmal finden“, sagt der Layouter. Vom Kaffee bis zum Knäckebrot. Kühltheken sind wegen der technischen Ausstattung dagegen eher am Rand angesiedelt.
Ausgedient hätten lange Gänge, in die man den Kunden auf seinem Weg durch den Supermarkt zwingt – in der Hoffnung, er kauft mehr als geplant. Ebenso Regale, die den direkten Weg zur Kasse versperren. „Die Leute haben heute wenig Zeit“, sagt Kuntke. Alles soll einfach und griffbereit sein. Ein genervter Kunde nutze schließlich niemandem.
Die Atmosphäre
Obst und Gemüse sollen knackig aussehen, Wurst und Fleisch frisch. Kunden sollen sich wohlfühlen. Dann geben sie 20 Prozent mehr aus, behaupten Experten. „Würden wir alles unter Neonlicht stellen, wäre das sicher nicht schön“, sagt Kuntke. Deswegen setzt er mithilfe der Lichtfarbe Akzente. Zusätzlich gibt es bunte Elemente an der Decke. Beispiel Wursttheke: Hier werfen die Spots ein gedimmtes Licht auf die Ware, rote und gelbe Deckensegel reflektieren es. Alles wirkt wärmer als im Rest des Ladens. „Dadurch kommt die Farbe des Fleischs besser raus.“ Anders beim Obst und Gemüse: Die Decke ist grün, das Licht ebenfalls weniger grell. Zudem sind spezielle Lichtfilter eingebaut, die den Reifeprozess bremsen.
Auch die Musik kann beim Einkaufen eine Rolle spielen. Experten haben herausgefunden: Dezente Klänge im Takt des Herzschlags entspannen den Kunden. Ganz so genau nimmt man es bei Rewe nicht. Dem Zufall überlasst der Konzern trotzdem nichts. Die Zentrale stellt mehrere Musikkanäle zur Verfügung. Die Marktleitung wählt aus: In Läden, in denen eher jüngeres Publikum einkauft, kommt aktuelle Chartmusik aus den Lautsprechern. Sind viele Senioren unterwegs, säuseln auch schon mal Oldies durch die Gänge.
Ach ja, und dann wäre noch der Duft. Backwaren direkt am Eingang machen Appetit. Kuntke gibt zu: „Der Raumduft ist wichtig.“ So wichtig, dass man sich in der Branche auch über künstliche Bedampfung Gedanken mache. Da riecht es dann im Laden nach frischem Brot, obwohl gar nicht gebacken wird, oder nach süßen Erdbeeren, obwohl die meterweit entfernt liegen. Doch es sei eine kostspielige Angelegenheit. Und eine gefährliche dazu, wie Kuntke erklärt. „Sobald es nach Bananen riecht, glauben viele Kunden, sie sind überreif.“ Bei Rewe verzichtet man daher nach Angaben des Layouters auf künstliche Zusätze.
Die Optik
Wer die City-Galerie vor und nach dem Umbau kennt, merkt die Veränderung: Viele Läden waren vorher in nüchternem Weiß gehalten, heute schreitet man über dunkle Böden und greift in kaum beleuchtete Regale. „Das dunkle Holz soll den Eindruck von hoher Wertigkeit unterstreichen“, erklärt der Rewe-Layouter. Auch im Lebensmittelhandel ist das Konzept vereinzelt zu finden. Bei Rewe allerdings kaum. Denn es hat Tücken: „Es macht auf viele den Eindruck, der Laden sei teuer.“ Deswegen bevorzugen gerade Discounter eher die schlichte Gestaltung: einfache Fliesen, nüchterne Regalwände. Auch bei Rewe setzt man mit edlen Materialien lieber nur vereinzelt Akzente, erklärt der Layouter – dort, wo man die Qualität seiner Produkte besonders hervorheben will. Beim Obst und Gemüse zum Beispiel.
Die Regalbelegung
Kuntke ist sicher: „Einen Kunden, der preisbewusst einkauft, werden wir sicher nicht verleiten, plötzlich eine Premiummarke zu nehmen.“ Was ist aber mit dem guten alten Trick, die teuren Markenprodukte im Regal auf Augenhöhe zu platzieren, während die günstige Eigenmarke nur durch Bücken und Strecken zu bekommen ist? Längst überholt? Nein, sagt der Layouter. Doch er erklärt das Prinzip anders.
Der Kunde orientiere sich an dem, was auf Augenhöhe steht. Er will schnell das finden, wonach er sucht. Am besten im Vorbeigehen. Deswegen werden in den Regalen Blöcke gebildet, die sich von oben nach unten durchziehen: Alle Kaffee-Pads in vertikaler Ausrichtung, an anderer Stelle die Nudeln von oben nach unten aufgereiht. Auf Augenhöhe befindet sich meist das namhafteste Angebot, das begehrteste Produkt. Das erkennt der Kunde sofort.
Im Fall der Marmeladen ist das bei Rewe Markenware, das günstige Eigenprodukt findet sich unten im Regal. „Da ist der Umschlag auch viel höher und dort passt am meisten rein“, sagt der Gestalter. Anders beim Schokoaufstrich. Da steht das Markenprodukt, das am häufigsten nachgefragt wird, ganz unten. Nur so lasse sich angesichts des hohen Umschlags für ausreichend Nachschub sorgen.
Und dann gibt es noch die fiesen „Quengelregale“ in Kassennähe, vollgestopft mit Buntem und Süßem – ein Horror für alle Eltern. Muss das sein? Eine klare Antwort gibt es vom Experten nicht. Aber immerhin: Man biete in jedem Rewe-Supermarkt eine Kasse an, an der es die für Kinder so verlockenden Produkte nicht gibt. Dafür dann allerdings dort Tabak und Alkoholika. Der Kunde muss sich entscheiden.
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