VW-Abgaskrise belastet Ingolstadt
Durch den Diesel-Skandal zahlt Volkswagen deutlich weniger Gewerbesteuer. Das reißt Löcher in die Haushalte – auch in Ingolstadt, wo die Konzern-Tochter Audi sitzt.
Jüngst hat in Ingolstadt der Ferienausschuss getagt. Die Stadträte waren dafür extra aus den Ferien zur Arbeit gerufen worden. Es ging in dem außer der Regel einberufenen Rund der Stadtpolitiker in einer etwas schrill anmutenden Debatte um einen recht zügig vollzogenen Abriss eines historischen Gemäuers. Und während die einen den Verlust von historischem Baugut beklagten, waren die anderen sicher, mit ihrer Entscheidung, die Bagger ans Werk zu lassen, das Beste für die Zukunft der Stadt getan zu haben.
Man hätte meinen können, dass die Debatte um die sogenannte Eselsbastei auf dem Gelände der alten Gießerei, dort, wo ein ganzes Stadtviertel neu entsteht, die größte Herausforderung Ingolstadts ist. Dabei bleiben das die Finanzen – wie auch in allen anderen Städten, in denen Werke des VW-Konzerns stehen. Denn Volkswagen überweist die Gewerbesteuer für seine Tochter-Unternehmen. Gerät der Konzern in Schieflage, erhalten also auch die Standorte von Audi, Porsche oder MAN weniger Geld. Es geht um hunderte Millionen Euro. Details nennt Volkswagen nicht. Grobe Anhaltspunkte gibt die Bilanz: 2014 flossen gut zwei Milliarden Euro „tatsächlicher Steueraufwand Inland“. Für 2015, als die Krise im Spätsommer losbrach, sind es nur noch rund 800 Millionen Euro.
Fest steht: Ingolstadts fette Jahre sind vorbei. Das hat Kämmerer Albert Wittmann (CSU) mehrfach erklärt und mit Zahlen belegt. Zwar erwartet er für das laufende Jahr – wegen diverser Sondereinflüsse – inzwischen doch rund 105 Millionen Euro an Gewerbesteuereinnahmen. Für 2017 aber rechnet Wittmann nur noch mit rund 68,4 Millionen. Ursprünglich waren 105 Millionen veranschlagt. Die Schätzungen bis 2020 sehen auch nicht gut aus. Wissen muss man: Zwischen 2005 und 2015 hatte Ingolstadt jährlich im Schnitt 134 Millionen Euro kassiert. Es haben harte Zeiten für die bislang finanziell vorzüglich – nahezu schuldenfrei – aufgestellte Stadt begonnen. Die Stadt hat eine Haushaltssperre von 15 Prozent für bestimmte Ausgaben erlassen, Bauinvestitionen, Straßenbau, Personal- und Sachausgaben sind gedeckelt. Der Konsolidierungsrat, ein parteiübergreifendes Gremium, das die Konsequenzen der Abgas-Krise berät, kommt das nächste Mal nach der Sommerpause zusammen.
Ingolstadt: Abgas-Affäre wird zum Problem
Auch in vielen anderen VW-Städten wird die Abgas-Affäre zur Last. Allein 28 Fabriken, die Teile oder Fahrzeuge produzieren, zählt der Konzern hierzulande. Das Problem trifft die Städte allerdings unterschiedlich hart. So wird der Abgas-Skandal in Augsburg, wo große Werke der MAN-Sparten Turbo & Diesel und Renk stehen, heuer wohl kein großes Loch in die kommunale Kasse reißen. Für das laufende Jahr rechnet die Stadt mit rund 157 Millionen Euro an Gewerbesteuereinnahmen. Roland Barth von der Kämmerei sieht keinen Grund, warum dieser Wert nicht erreicht werden sollte. Allerdings hatte die Stadt heuer den Gewerbesteuersatz erhöht, von 435 auf 470 Prozent. Die Unternehmen müssen also einen höheren Anteil ihres Ertrags an die Stadt abgeben. Das ist auch eine Reaktion auf das vergangene Jahr. Da hatte Augsburg 27 Millionen Euro weniger Gewerbesteuer eingenommen. Finanzreferentin Eva Weber hatte keine Namen genannt – dahinter steckte aber mit hoher Wahrscheinlichkeit die Abgas-Krise.
Deutlich bedrohlicher sieht es aber in der VW-Heimat Niedersachsen aus: Die Stadt Wolfsburg verzeichnete 2015 rund 80 Prozent Einbruch bei der Netto-Gewerbesteuer. Statt 253 Millionen Euro wie 2014 blieben nun keine 52 Millionen Euro mehr übrig. Wolfsburg beherbergt mit dem Stammwerk die weltgrößte Autofabrik – plus Zulieferer. Da das Steuergeheimnis gilt, ist ungewiss, wie viel der Einbruch nun genau mit VW zu tun hat. Auch von 2017 an sei „nach bisheriger Erkenntnislage von weiter sinkenden Gewerbesteuererträgen auszugehen“. Daher spart Wolfsburg, denn im Haushalt gilt es, ein Loch von 45 Millionen Euro zu stopfen.
Auch weitere VW-Städte leiden. Die Netto-Gewerbesteuern 2015 sanken in Salzgitter um ein Drittel, in Osnabrück um 22 Prozent und in Braunschweig um 13 Prozent. Hart trifft es das ostfriesische Emden mit dem VW-Passat-Werk. Die Hafenstadt fahre einen „straffen Konsolidierungsplan“, berichtet Pressesprecher Eduard Dinkela. Bis 2019 müsse sie „absolut sparen“. Die Eltern werden zu 25 Prozent an den Kita-Beiträgen beteiligt, nach zuvor 15 Prozent. Die Parkgebühren steigen, beim Unterhalt der städtischen Gebäude wird gespart, die Reinigungsstandards etwa an Schulen werden heruntergefahren.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Lange ging es vielen Standorten des Konzerns blendend. Ingolstadt etwa hat noch immer ein fast 300 Millionen Euro großes Finanzpolster. In Braunschweig war die Kinderbetreuung kostenlos. Und auch in Emden, wo die Kita-Gebühren nun anziehen, „haben wir zuvor zig Jahre nicht erhöht“, gibt Sprecher Dinkela zu bedenken. kuepp, dpa, AZ
Die Diskussion ist geschlossen.