Warum Unternehmen aus der Region einen harten Brexit fürchten
Ein ungeordneter Brexit lässt sich kaum noch vermeiden. Firmen stellen sich auf chaotische Zustände ein - und sorgen auch anderweitig für den Tag X vor.
Michael Schilling zeichnet ein düsteres Bild: Kommt es zu einem harten Brexit, dürfte es an der Außengrenze des Vereinigten Königreichs unübersichtlich werden. Schilling, der sich im Vorstand des Kemptener Logistik-Konzerns Dachser um den Frachtverkehr auf der Straße kümmert, erwartet lange Staus und Wartezeiten am Nadelöhr zwischen Calais und Dover. Dachser, erläutert er, bereite sein Logistiknetz gerade intensiv auf dieses Szenario vor": Zusätzliche Lagerflächen würden vorbereitet, mehr Mitarbeiter als bisher kümmerten sich um Zoll-Themen.
100 Kilometer entfernt sieht es ganz ähnlich aus. Dort, in Burtenbach, sitzt der Trailer-Hersteller Kögel. Geschäftsführer Josef Warmeling geht wie Michael Schilling von Staus und langen Standzeiten aus. "Wir müssen damit rechnen, dass Großbritanniens ab Ende März wie ein Drittstaat mit allen entsprechenden Zollformalitäten behandelt werden muss", betont er.
Der Zeitplan für einen geordneten Brexit wird immer knapper
Ein harter Brexit, wie ihn Schilling, Warmeling und andere Unternehmer fürchten, lässt sich kaum noch verhindern. Nachdem das britische Parlament den von der britischen Premierministerin Theresa May festgezurrten Ausstiegs-Deal mit großer Mehrheit abgelehnt hat, wird der Zeitplan für einen geordneten Ausstieg immer knapper. Verträge, die künftige Wirtschaftsbeziehungen regeln, gibt es noch nicht.
Für Unternehmen, die ihre Produkte nach Großbritannien liefern oder Ware aus dem Vereinigten Königreich bekommen, bedeutet das große Unsicherheiten. Verzögert sich die Lieferung, droht ein teurer Produktionsstopp, denn viele Unternehmen lagern Maschinenteile oder Rohstoffe nicht in ihren Werkshallen, sondern lassen sie pünktlich zur Verarbeitung von Transportunternehmern anliefern. Diese "Just-in-time-Lieferung" spart Lagerplatz und somit Kosten.
Jana Lovell beschäftigt sich im Moment viel mit diesen Themen. Sie leitet das Geschäftsfeld International bei der Industrie- und Handelskammer Schwaben und hat regelmäßig mit Firmen zu tun, die wissen wollen, was sie tun können. "Wir raten unseren Unternehmen, sich so gut wie möglich auf einen harten Brexit vorzubereiten", sagt Lovell. Das sei allerdings schwierig, "wenn man noch gar nicht weiß, womit man es am Ende zu tun hat".
500 schwäbische Unternehmen haben Geschäftsbeziehungen auf die Insel
Nach Lovells Erfahrung trifft ein möglicher harter Brexit Firmen aus allen Branchen. Besonders teuer werde es aber für kleine Unternehmen. Sie würden bisher oft nur innerhalb der Europäischen Union operieren, erläutert die Expertin. "Tritt Großbritannien aus der EU aus, müssen sie sich erst einmal Fachwissen und Strukturen etwa in Zollfragen aufbauen." Das bedeutet mehr Aufwand, oft brauchen sie sogar zusätzliches Personal.
Die meisten Unternehmen nehmen das in Kauf. Denn verzichten können sie auf die guten Handelsbeziehungen zu Großbritannien nicht. Das Vereinigte Königreich ist für den Freistaat der viertgrößte Exportmarkt. Allein in Schwaben pflegen rund 500 Unternehmen Geschäftsbeziehungen auf die Insel, 140 haben eine britische Niederlassung oder sogar einen Produktionsstandort dort.
Die guten Beziehungen haben seit dem Brexit-Votum jedoch gelitten. Das Handelsvolumen zwischen dem Freistaat und Großbritannien ist von 2016 auf 2017 um 527 Millionen Euro geschrumpft.
Josef Warmeling, der Kögel-Geschäftsführer, kann dem EU-Austritt der Briten dennoch etwas Gutes abgewinnen. "Für uns ergibt sich auch eine Chance", betont er. Denn das Unternehmen stellt Auflieger her, eine bestimmte Art von Lkw-Anhängern. Warmeling glaubt, dass seine Kunden künftig eine größere Zahl solcher Auflieger brauchen werden - weil sie den Transport über die Grenze nach England komplett neu organisieren müssen.
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