Wirtschaft warnt vor Hängepartie
Nach der Bundestagswahl rufen Unternehmen und Verbände zu einer raschen Regierungsbildung auf. Und sie reagieren auch auf den Erfolg der rechtspopulistischen AfD
Nach der Bundestagswahl mit schweren Verlusten für die bisherige Große Koalition dringt die Wirtschaft auf eine rasche Regierungsbildung und Investitionen. Mit Blick auf ein „Jamaika“-Bündnis von Union, FDP und Grünen mahnten Wirtschaftsvertreter eine stabile Regierung an – und sahen in Schwarz-Gelb-Grün auch Chancen. Wenig halten sie von der AfD.
„Der Wahlausgang macht die Regierungsbildung nicht leicht. Wir brauchen in diesen schwierigen Zeiten eine stabile Regierung“, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer. Er forderte einen „Koalitionsvertrag für mehr Investitionen“. Die wirtschaftliche Lage in Deutschland sei gut, aber die Betriebe machten sich Sorgen, ob dies so bleibe. Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, spricht von Herausforderungen durch ein Sieben-Parteien-Parlament. Schweitzer und Kempf warnten vor Ausländerfeindlichkeit. Dies könne sich die deutsche Wirtschaft „nicht ansatzweise erlauben“, sie sei auf ausländische Fachkräfte angewiesen, sagte DIHK-Chef Schweitzer. Ein „Rückzug ins Nationale ist für unser Land keine Alternative“, warnte Kempf. „Die AfD ist im Kern gegen das, was Deutschland stark gemacht hat.“
Nach Einschätzung von Siemens-Chef Joe Kaeser muss Deutschland Lehren aus den Stimmengewinnen für die AfD ziehen. Mit der AfD habe es eine national-populistische Partei fulminant ins Parlament geschafft. „Das ist auch eine Niederlage der Eliten in Deutschland“, sagte Kaeser. VW-Chef Matthias Müller nannte das Ergebnis einen historischen Einschnitt: „Die alten Volksparteien verlieren dramatisch. Gleichzeitig wird die rechtsextreme und ausländerfeindliche AfD drittstärkste Kraft im Bundestag.“
In unserer Region forderte Peter Saalfrank, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Schwaben, von der neuen Regierung mehr Investitionen: „Die Zeit des parteipolitischen Geplänkels muss vorbei sein, jetzt muss die Politik die wichtigen Zukunftsthemen konkret angehen, um der Wirtschaft Investitions- und Planungssicherheit zu geben.“ Wichtige Themen seien die Optimierung der Infrastruktur von Schiene und Breitband, bei Energie Versorgungssicherheit und Kostenbewusstsein, die Gleichrangigkeit beruflicher und akademischer Ausbildung und die Digitalisierung als Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit auch kleinerer und mittlerer Unternehmen. Saalfrank forderte eine Diskussion darüber, wie nicht nur die Autoindustrie, sondern auch die regionale Zulieferindustrie auf autonomes Fahren, E-Mobility und Dieselverbote zu reagieren hat.
Das Handwerk sah das Wahlergebnis mit gemischten Gefühlen. „Wochenlange oder gar monatelange Koalitionsverhandlungen bedeuten Stillstand und für die Wirtschaft eine Phase der Ungewissheit, wie es in der Steuer-, Wirtschafts-, Energie- und Arbeitsmarktpolitik weitergeht“, mahnte der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer. Eine „Jamaika“-Koalition berge aber auch „die Chance, Deutschland einen Modernisierungsschub zu geben“.
Der deutsche Aktienmarkt zeigte sich am Montag relativ gelassen angesichts des AfD-Erfolgs und des Einbruchs bei Union und SPD. Nach Verlusten zum Handelsbeginn schloss der Dax minimal im Plus.
Bank-Volkswirte sehen Risiken einer „Jamaika“-Koalition. Dekabank-Chefökonom Ulrich Kater sagte, ein solches Bündnis wäre „auf den ersten Blick nicht das beste Szenario für Wirtschaft und Finanzmärkte, denn es bringt Unsicherheit – von der Wirtschaftspolitik bis hin zur Europapolitik“. Auf den zweiten Blick biete es aber auch Chancen, mit frischen Kräften Themen neu anzupacken. (dpa, mke)
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