Wirtschaftsboom und Jobabbau: Wie passt das zusammen?
Am Beispiel Siemens lässt sich der vermeintliche Widerspruch aufklären. Der Konzern ist ein Ort permanenter Unruhe. Neue Jobs entstehen, alte werden abgebaut.
Wer zuletzt Wirtschaftsnachrichten gelesen hat, mag die Welt nicht mehr verstehen. Da ist die Zahl der Menschen ohne Job in Deutschland mit rund 2,4 Millionen auf den niedrigsten Wert seit 1991 gefallen. In Bayern herrscht ein regelrechter Beschäftigungs-Boom. Und doch machen gerade Unternehmen aus dem Freistaat negative Schlagzeilen. So soll das frühere Augsburger Osram-Lampenwerk mit seinen 650 Mitarbeitern geschlossen werden. Siemens will 6900 Jobs streichen, etwa die Hälfte davon in Deutschland.
Wie passt das zusammen, die Jubel-Meldungen vom Arbeitsmarkt und immer neue Stellenverluste? Zunächst geben die offiziellen Arbeitslosenzahlen ein unzureichendes Bild der Realität wieder. Denn in Wahrheit sind in Deutschland fast 3,4 Millionen Menschen unterbeschäftigt, stecken also etwa in einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme. Doch auch wenn die wahre Arbeitslosigkeit höher liegt, fällt die deutsche Beschäftigungsbilanz im europaweiten Vergleich gut aus.
Die Siemens-Sünde in Görlitz
Dennoch bleibt die Frage: Warum baut zum Beispiel Siemens in Anbetracht des Aufschwungs so viele Stellen ab? Und das trotz eines Milliardengewinns und trotz eines fetten Börsenkurses. Der Konzern macht sogar in einer strukturschwachen ostdeutschen Region wie Görlitz einen Standort dicht, eine Sünde, schließlich hat die AfD dort bei der Bundestagswahl 32,9 Prozent der Zweitstimmen geholt.
Die Görlitz-Entscheidung des Riesen ist politisch betrachtet brandgefährlich, weil die Populisten dadurch sicher weiteren Zulauf bekommen. Rein betriebswirtschaftlich hat der Beschluss aber eine gewisse Logik, werden doch in Görlitz Dampfturbinen produziert, die nicht mehr so stark nachgefragt werden. Siemens steht dessen ungeachtet wegen der unsensiblen Hauruck-Aktion im Osten als Arbeitsplatzvernichter am Pranger. In der Summe ist der Konzern jedoch ein Job-Schaffer. So hat Siemens im letzten Geschäftsjahr weltweit fast 39.000 Menschen eingestellt, davon etwa 5200 in Deutschland. Hierzulande stieg die Zahl der Beschäftigten in der Summe um 2000 auf 115.000. Insgesamt stimmt die Arbeitsplatzbilanz des Elektro-Riesen also. Siemens ist nicht das personifizierte Böse, sondern ein permanent im Umbruch befindlicher innovativer Konzern, der auf Marktveränderungen reagieren muss und wie andere Firmen durch die Digitalisierung durchgeschüttelt wird. So fallen jetzt im Kraftwerksbau Stellen weg, dafür ergeben sich neue Beschäftigungsmöglichkeiten. In Cuxhaven etwa baut Siemens eine Windkraftfabrik, in der bis zu 1000 Menschen Arbeit finden.
Wie Siemens-Mitarbeiter Opfer werden
Altes vergeht, Neues entsteht – ein oft brutaler Prozess, der schon 1942 treffend vom österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter als „schöpferische Zerstörung“ beschrieben wurde. Die Tragödie des dem Kapitalismus auch in seiner sanften Form der Sozialen Marktwirtschaft nicht auszutreibenden Effekts ist, dass oft ältere Menschen wie bei Siemens Opfer der Entwicklung werden. Wer als Facharbeiter Turbinen herstellt, lässt sich nicht zum heiß begehrten Software-Ingenieur umschulen. Wirtschaftsboom und Stellenstreichungen stellen daher nur einen vermeintlichen Widerspruch dar. Doch das sollten Manager viel besser erklären.
Denn die globale Wirtschaft hat eine Komplexität erreicht, die vermittelt werden muss. Wie können Manager also klüger agieren? Sie müssen Zuspitzungen vermeiden. Ein reicher Konzern wie Siemens braucht einen Plan „B“, wenn er ein Werk schließt. Im gleichen Atemzug muss zur Beruhigung ein Käufer für die Fabrik präsentiert werden.
Wenn Menschen das Prinzip der schöpferischen Zerstörung besser akzeptieren sollen, hilft ihnen eine Perspektive für die Zukunft.
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