Depressionen: Wer sich outet, muss sich nicht mehr schämen
Fünf Jahre nach Robert Enkes Suizid hat sich die Einstellung gegenüber der Krankheit geändert. Ein Psychiatrie-Professor erklärt, was vor allem im Sport noch getan werden muss.
Robert Enke nahm sich vor fünf Jahren das Leben. Der Nationaltorhüter litt an Depressionen. Was hat sich seitdem geändert. Ein Interview mit Professor Frank Schneider, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Uniklinik RWTH Aachen.
Sind Profi-Sportler besonders gefährdet, an einer Depression zu erkranken?
Schneider : Eigentlich nicht. Nur bekommt es die Öffentlichkeit bei ihnen mehr mit. Im Grunde haben viele Menschen Stress am Arbeitsplatz. Bei Leistungssportlern kommen allerdings noch andere Faktoren hinzu wie Verletzungen, Niederlagen und das Übertrainingssyndrom, zu umfangreiches Training ohne Erholungsphasen.
Sind Depressionen im Profi-Sport immer noch ein Tabu-Thema?
Schneider: Eine Depression gilt bei allen Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, als gewisses Stigma. Vor allem bei Sportlern passt diese Krankheit nicht in das Bild des vor Kraft strotzenden, leistungsorientierten Athleten. Aber es hat sich viel getan seit dem Tod von Robert Enke. Damals ging ein Ruck durch die Gesellschaft, sie hat sich gewandelt. Das ist auch ein Verdienst der Robert-Enke-Stiftung. Ein gutes Beispiel dafür ist Markus Miller. Er ist ebenfalls Torhüter bei Hannover 96, wie es früher Robert Enke war. Miller hat sich 2011 wegen Depressionen krank gemeldet und mehrere Wochen behandeln lassen. Danach stand er wieder erfolgreich auf dem Platz. Spieler können sich heute problemloser outen. Sie müssen sich nicht schämen, es ist ja eine Krankheit, die jeder bekommen kann. Aber schwierig ist es immer noch.
Was sollte ein Spieler denn tun, wenn er an Depressionen leidet?
Schneider: Es gibt eine Telefon-Hotline der Robert-Enke-Stiftung, über die Experten der Aachener Klinik Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen. Außerdem gibt es an vielen Universitätskliniken inzwischen Zentren für "Seelische Gesundheit im Sport", die sportpsychiatrisch-psychotherapeutische Sprechstunden anbieten. Direkt zum Präsidenten des Vereins zu gehen, würde ich nicht empfehlen. Ob und was der Sportler an seinem Arbeitsplatz sagt, will gut überlegt sein, dafür sind externe Ärzte und Psychologen meist die besseren Ansprechpartner. Andere Menschen informieren von einer Erkrankung ja auch nicht als erstes ihren Arbeitgeber.
Fünfter Todestag Robert Enke: Woran erkennen Mitspieler Depressionen?
Können Trainer und Teammitglieder eine Depression bei einem Spieler erkennen? Und wenn ja, was sollen sie dann tun?
Schneider: Dafür haben wir den Ratgeber "Depressionen im Sport" geschrieben. Trainer, Berater und Verbandsfunktionäre können die Zeichen erkennen, aber sie müssen darüber informiert sein. Es gibt Kardinalsymptome, wie eine negative Grundstimmung, Antriebslosigkeit, Ängste, Interessensverlust, Entscheidungsunfähigkeit, Appetit- und Schlaflosigkeit. Wichtig ist, dass die Trainer nicht wegsehen, sondern aktiv auf das Problem zugehen.
Was meinen Sie damit genau?
Schneider: Die Trainer sollen den betroffenen Spieler ansprechen und sagen: "Hey, ich hab den Eindruck, es geht dir nicht gut, kann ich helfen?" Viele Depressive warten nur darauf, dass man sie fragt, wie es ihnen geht. Wenn sie keine Hilfe wollen, ist es aber auch zu akzeptieren.
Dürfen Sportler Antidepressiva einnehmen? Wirken sie sich nicht auf ihre Leistung aus?
Schneider: Nur einige Antidepressiva sind auf der Doping-Verbotsliste der WADA (Welt-Anti-Doping-Agentur). Gegebenenfalls kann man bei der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA) eine Ausnahmeregelung einholen. Manche Antidepressiva wirken ermüdend, andere anregend. Dies ist abzuwägen.
Können Sportler während einer Depression trainieren? Bedeutet die Erkrankung nicht das Karriere-Ende?
Schneider: Sportler mit einer Depression werden zunächst ganz normal krank geschrieben. Allerdings wird bei ihnen schon darauf geachtet, dass sie ein Muskelerhaltungsprogramm bekommen. Bei schwer Depressiven kann es allerdings auch sein, dass sie eine Zeit lang vor allem im Bett liegen, was aber nicht völlige Bettruhe bedeutet. Es kommt immer auf den Schweregrad der Krankheit an. Grundsätzlich sind Depressionen sehr gut behandelbar und es spricht nichts dagegen, dass die Sportler nach der Behandlung wieder aktiv werden. Viele Patienten berichten sogar, dass sie gestärkt aus der Krankheit hervorgehen.
Kann Sport bei Depressionen nicht auch helfen? Quasi als Therapieform?
Schneider: Bewegung ist in allen Stadien einer Depression wichtig. Aber der Sport muss angepasst werden. Wir bieten zum Beispiel unseren Patienten in Aachen Gerätetraining an oder Gruppen, die walken oder schwimmen. Es muss dazu eine ganz enge Kooperation zwischen Patienten und Behandelnden geben.
Wie kann man mit Depressionen im Leistungssport künftig besser umgehen?
Schneider: Wir entwickeln mit dem DFB gerade ein Programm für Trainer, wie sie Depressionen bei Spielern erkennen. Dass jeder Verein einen eigenen Psychiater beschäftigt, halte ich nicht für sinnvoll. Stattdessen brauchen wir Studien, wie sich Ausmaß und Art des Sports auf psychisch Kranke auswirken. Wir müssen herausfinden, wie die Wechselwirkungen zwischen Sport und anderen Therapiemaßnahmen sind. Außerdem darf es keine langen Wartezeiten für Therapien geben. Aber trotz allem muss uns klar sein: Es wird immer Menschen geben, die Suizid begehen.
Professor Frank Schneider ist Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Uniklinik RWTH Aachen. Er hat mit der Robert-Enke-Stiftung einen Ratgeber über Depressionen im Sport geschrieben.
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