Krebs: Substanz enttarnt Tumore
Prostatakrebs ist schwer zu diagnostizieren. Das gilt auch nach einer Operation. Doch mit einer neuen Methode kann man Krankheitsrückfälle jetzt deutlich besser entdecken.
Das Bessere ist des Guten Feind, besagt eine Redensart. Das gilt auch – oder vielleicht sogar besonders – in der Medizin. Fortschritte sollen den Patienten nicht vorenthalten werden, und so kommt es, dass manche Methode verschwindet, wenn eine bessere am Horizont erscheint. Das zeigt sich auch jetzt wieder – beim weitverbreiteten Prostatakrebs.
Mit PSMA den Tumoren auf der Spur
Üblicherweise können Nuklearmediziner Tumoren aufspüren, indem sie radioaktiv markierte Substanzen verabreichen, die von den Tumoren für ihren Stoffwechsel benötigt und folglich angereichert werden. Zucker ist so eine Substanz, die man zur Krebsdiagnostik mit radioaktivem Fluor markiert. Die meisten Tumoren verbrauchen viel Zucker, er sammelt sich daher in ihnen an. Fängt man dann, stark vereinfacht gesagt, die radioaktive Strahlung des angehängten Fluors in einem Positronenemissionstomografen (PET) auf, sieht man auf den Bildern, woher sie kommt – die Tumore sind enttarnt. Nur beim Prostatakrebs funktioniert das nicht, denn: Er reichert keinen Zucker an.
Um ihm auf die Spur zu kommen, verwendete man bisher Cholin. Cholin ist ein Bestandteil von Zellmembranen und wird deshalb besonders da gebraucht, wo viele neue Zellen entstehen – also etwa in rasch wachsendem Gewebe wie Tumoren. Prostatakarzinome nehmen viel Cholin auf, und hat man es vorher radioaktiv markiert, bringt es die Tumoren in der PET-Bildgebung zum „Leuchten“.
„PET mit Cholin war auch schon ganz gut“, sagt Professor Joachim Sciuk, Chefarzt der Nuklearmedizin am Augsburger Klinikum. „Aber es war mit einem Schlag weg, als PSMA aufkam.“ Denn PSMA ist eine Substanz, die Prostatatumoren noch viel besser aufspüren kann als das Cholin. Sie bindet an bestimmte Eiweiße, die sich auf der Oberfläche von Prostatatumorzellen befinden. Während diese Eiweiße im Körper ansonsten kaum vorkommen, sind sie auf Prostatatumoren sehr zahlreich anzutreffen – sodass das PSMA sehr gezielt an den Tumoren andockt, wie Sciuk sagt. „Die weit überwiegende Mehrheit der Prostatatumoren trägt diese Merkmale.“ Nur in seltenen Fällen komme es vor, dass die Tumoren kein PSMA anreicherten, ohne dass man genau wisse, warum.
Selbst kleine Tumoren entgegen den Ärzten nicht
Klassische Indikation für die PSMA-Diagnostik seien Patienten nach einer Prostata-Operation, bei denen das Prostata-spezifische Antigen (PSA) im Blut wieder steige als Hinweis auf einen Krankheitsrückfall (Rezidiv). Es könne sich um ein Lokalrezidiv handeln, also ein erneutes Tumorwachstum an der Stelle, an der die Prostata einmal gewesen sei, erläutert Sciuk, oder auch um den Tumorbefall in einem Lymphknoten oder anderswo. Mittels CT oder Kernspin sei das bisweilen nicht ausfindig zu machen. Deswegen kombiniert man diese Methoden mit der PSMA-PET-Diagnostik, die den Prostatakrebs über dessen Stoffwechselverhalten aufspürt und Bilder in exzellenter Qualität liefert, wie Sciuk erklärt: „Wir können damit auch Tumorherde erkennen, die nur wenige Millimeter groß sind.“ Was bedeutet: Auch der Befall eines Lymphknotens, der kleiner als einen Zentimeter sei, entgehe den Ärzten nicht.
Professor Dorothea Weckermann, Chefärztin der Klinik für Urologie am Augsburger Klinikum, sieht die Rezidivsuche ebenfalls als wichtigstes Einsatzgebiet der PSMA-PET/CT-Diagnostik. Schon bei PSA-Werten zwischen 0,5 und 1 ng/ml habe man gute Chancen, ein Rezidiv nachweisen zu können, was den Vorteil habe, den erneuten Tumorbefall früher bestrahlen oder entfernen zu können. Zudem sei es für die weitere Behandlung ein großer Unterschied, ob der Patient ein Lokalrezidiv oder aber beispielsweise Metastasen im Knochen habe. Bei der Rezidivsuche sei die PSMA-Diagnostik derzeit das Optimum, „da gibt es nichts Besseres“, erklärt sie.
Angehängt an das PSMA wird für diagnostische Zwecke ein Stoff namens Gallium 68, eine schwach radioaktive Substanz mit sehr kurzer Halbwertszeit. Da sie schnell wieder aus dem Körper des Patienten verschwunden ist, muss der Patient nach Injektion des Stoffes „sehr zügig in die Röhre, denn nach ein paar Stunden sehen wir nichts mehr“, sagt Sciuk. Und weil die Substanz so kurzlebig ist, muss sie in einem Generator in der Klinik direkt vor Ort hergestellt werden. Der hohe Aufwand ist ein Grund, weshalb sich die Untersuchung derzeit nicht für die Primärdiagnostik, also die Suche nach einem Ersttumor, eignet, sagt Weckermann, denn dafür müsste sie überall verfügbar sein.
Neue Methode ruft weltweit große Aufmerksamkeit hervor
Ob es irgendwann dazu kommen wird? Ausschließen möchte das Sciuk nicht, auch wenn momentan klar sei, dass diese Methode nicht als Screening dient. Zudem sei die Kapazität für PSMA-PET-Untersuchungen limitiert, weil es diese Methode in ganz Schwaben nur am Klinikum Augsburg gebe.
Doch PSMA ist nicht nur interessant, weil es eine präzisere Bildgebung als bisher ermöglicht. Vielmehr kommt auch ein Begriff ins Spiel, der in der Medizin noch eine Besonderheit darstellt: die „Theranostik“. Dabei geht es um diagnostische Methoden, die zugleich eine Therapiemöglichkeit bieten. Und genau das ist bei der PSMA-Diagnostik der Fall. Denn koppelt man an das PSMA anstatt des schwach strahlenden Gallium 68 den therapeutischen Beta-Strahler Lutetium 177, lassen sich die Prostatatumoren damit im Körperinneren bestrahlen.
„Tumorzellen, die das Zielmolekül (...) tragen, nehmen das Radiopharmakon auf, welches dann gezielt die Zelle von innen zerstört“, teilte die Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin (DGN) dazu unlängst mit. „Das übrige Gewebe wird nicht angegriffen“. Das neue Verfahren zur Therapie des Prostatakrebses habe unter Experten weltweit große Aufmerksamkeit hervorgerufen, heißt es. In einer rückblickenden Auswertung von Patientendaten habe sich die Wirksamkeit bestätigt: 40 Prozent der Patienten hätten schon nach einem einzigen Therapiezyklus positiv reagiert, die Nebenwirkungen seien dabei „gering und überschaubar“ gewesen.
Lutetium 177 schädigt gesundes Gewebe kaum
Freilich: „Es handelt sich um ein palliatives Verfahren“, schränkt Joachim Sciuk ein. Nur Patienten mit Metastasen, die nicht mehr operiert oder bestrahlt werden könnten und schon Hormonbehandlung oder Chemotherapie hinter sich hätten, ohne dass sich ihr Zustand gebessert habe, seien Kandidaten für eine PSMA-Therapie, nicht aber solche, die noch mit einer Operation oder einer Bestrahlung von außen geheilt werden könnten. Und auch die Fachgesellschaft erklärt, die Therapie diene der Linderung von Symptomen sowie einer Verlangsamung des Tumorwachstums beziehungsweise Zurückdrängung des Tumors. Damit könne sie jedoch zu einer Verlängerung der Überlebenszeit beitragen.
Das radioaktive Lutetium 177, das dafür an PSMA gekoppelt werde, schädige gesundes Gewebe kaum, weil seine Strahlung nur etwa zwei Millimeter weit reiche, erklärt Sciuk. Anders als bei der Diagnostik wolle man für die Therapie eine radioaktive Substanz, die länger im Körper bleibt, damit sie wirken kann. Bei einer Halbwertszeit des Lutetiums von etwa sieben Tagen müsse der Patient etwa zwei bis drei Tage auf der Therapiestation der Klinik für Nuklearmedizin bleiben, bis die Strahlung so weit abgeklungen ist, dass er die Klinik wieder verlassen könne. Angewandt werde die Therapie in mehreren Zyklen im Abstand von etwa zehn Wochen, wobei man zwischenzeitlich mittels PSMA-PET kontrolliere, wie gut sie wirke.
Diagnostik machte einen Quantensprung
Gänzlich zum Verschwinden bringen könne die Therapie einen metastasierten Prostatatumor nicht: „Das geht nicht mehr“, sagt Sciuk, „aber wir wollen, dass die Erkrankung stabil bleibt oder zurückgedrängt wird.“ Es gehe darum, Schmerzen zu mildern und dem Patienten zu helfen. „Wir können den Patienten nicht mehr gesund machen, aber ihm für eine längere Zeit noch ein Leben mit besserer Qualität verschaffen.“
Seit zwei bis drei Jahren wendet man die PSMA-PET-Diagnostik im Augsburger Klinikum an, seit etwa ein bis zwei Jahren auch die therapeutische Variante. Sciuk betrachtet dies als eine ganz wesentliche Erweiterung der Diagnostik und Therapie von Prostatakarzinomen und fast schon als „Quantensprung“. Die Nuklearmedizin, sagt er, sei klinisch und wissenschaftlich eine „faszinierende Disziplin“.
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