Neue Krebstherapie: Manche Patienten profitieren "extrem"
Immuntherapie mit einem neuen Wirkprinzip zeigt erste Erfolge beim Malignen Melanom und beim nichtkleinzelligen Lungenkrebs. Nun wird getestet, wem die Substanzen wirklich nutzen.
Der Traum, das körpereigene Immunsystem im Kampf gegen Tumoren gezielt nutzen zu können, ist nicht neu. Ansätze dazu gibt es inzwischen viele. So arbeiten etwa Forscher intensiv an Impfungen, die bei einer bereits bestehenden Krebserkrankung helfen sollen, heißt es in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift einblick des Deutschen Krebsforschungszentrums, die dem Schwerpunkt Immuntherapie gewidmet ist. Aber das ist nur ein Beispiel. Man versucht auch eine ganze Reihe anderer Strategien.
Tumorzellen können Immunzellen "ausschalten"
Eine entscheidende Frage bei der Immuntherapie lautet: „Warum wird ein Tumor vom Abwehrsystem nicht erkannt und angegriffen?“, sagt Professor Martin Trepel, Onkologie-Chefarzt am Augsburger Klinikum. Oft nämlich seien in einem Tumor viele Immunzellen vorhanden, erklärt der Leiter der II. Medizinischen Klinik – aber sie tun nichts gegen die Geschwulst. Weil sie nicht können. Denn, bildlich gesprochen, seien Tumorzellen in der Lage, den Abwehrzellen „einen Maulkorb zu verpassen“. Oder anders ausgedrückt: Immunzellen verfügen über eine Art Ausschaltknopf, den die Tumorzellen bedienen können. Und die machen davon rege Gebrauch.
Inzwischen, sagt Trepel, habe man herausgefunden, wie das funktioniert – und wie man die Tumorzellen an der Betätigung des Ausschaltknopfes hindern kann: Mit sogenannten PD-1-Hemmern, monoklonalen Antikörpern, die anders wirken als bisher bekannte. Werden mit diesen PD-1-Hemmern, die Namen tragen wie „Nivolumab“ oder „Pembrolizumab“, die Tumorzellen an der Betätigung des Ausschalters gehindert, bleiben die Immunzellen aktiviert und können, wie erwünscht, den Krebs attackieren.
Manche Patienten profitieren extrem von neuem Wirkprinzip
Das Wirkprinzip, das in den vergangenen zwei Jahren bekannt geworden sei, funktioniere wahrscheinlich bei einer relativ großen Zahl von Tumoren, so Trepel, die umfangreichsten Erkenntnisse gibt es aber derzeit zum Malignen Melanom, dem „Schwarzen Hautkrebs“, und zum Bronchialkarzinom (Lungenkrebs). Die ersten Erfolge der neuen Substanzen in der therapeutischen Anwendung waren unlängst Thema beim weltweit größten Krebskongress der amerikanischen Krebsgesellschaft, dem ASCO. Trepel, der an dem Kongress teilnahm, bezeichnet die PD-1-Hemmer als eine der wichtigsten bahnbrechenden Neuerungen, die heuer diskutiert wurden.
Wie erfolgreich sind sie denn, die neuen Stoffe? Betrachte man ein „unselektiertes Krankengut“, so überleben die Patienten damit im Durchschnitt zwei bis drei Monate länger, heißt es. Was auf den ersten Blick eher enttäuschend klingt, ist bei genauerem Hinsehen ein bedeutender Fortschritt. Denn „über den Einzelfall sagt das nichts aus“, erläutert Trepel, „wir sehen sehr gut, dass es einzelne Patienten gibt, die extrem profitieren.“ Ein Teil der Patienten – zwischen 15 und 25 Prozent – bekomme den Tumor durch das eigene Immunsystem über längere Zeit gut kontrolliert oder sei (in Einzelfällen) möglicherweise geheilt, was man nach der bisherigen Nachbeobachtungszeit aber noch nicht abschließend beurteilen könne.
"Riesenfortschritt" für schlecht behandelbare Tumore
Gerade bei Tumoren wie dem nichtkleinzelligen Lungenkrebs, der bisher eher schlecht behandelt werden kann, sei das ein „Riesenfortschritt“, sagt der Chefarzt. Doch auf dem Weg zum Routine-Einsatz (noch sind die Substanzen nicht für Lungenkrebs zugelassen) gibt es ein Problem, das gelöst werden muss: nämlich vor der Gabe der teuren Medikamente herauszufinden, wer tatsächlich davon profitieren wird und wer nicht. Zudem, heißt es dazu in der Zeitschrift einblick, bestehe die Gefahr einer Überaktivierung des Immunsystems, das dann gegen den eigenen Körper und gegen gesunde Zellen vorgehen würde.
Wahrscheinlich, vermutet Trepel, werde es ein ganzes Sammelsurium von Kriterien sein, das man kennen müsse, um verlässlich Vorhersagen machen zu können, für wen die Medikamente geeignet sind. Wie differenziert man vorgehen muss, zeigt das Beispiel Brustkrebs: Derzeit würden die Tumore anhand einiger weniger bekannter Kriterien wie Hormonabhängigkeit oder bestimmter Oberflächenmerkmale in Kategorien eingeteilt. Doch in Wirklichkeit gebe es wahrscheinlich hunderte von Kriterien, nach denen Brusttumore unterschieden werden können, vermutet Trepel. Kriterien, die man bislang gar nicht kennt.
Augsburger Klinikum bekommt ein "Cancer Center"
Tumorleiden seien extrem komplex und wandlungsfähig, und so werde das Bild für alle Tumorarten immer differenzierter, sagt Trepel. Für einen einzelnen Therapeuten sei es kaum noch zu überblicken. „Wir brauchen für jede Tumorart Spezialisten“, lautet Trepels Schlussfolgerung. So hat er die Konsequenzen gezogen und – im Rahmen der Etablierung eines „Cancer Centers“ am Augsburger Klinikum – einige Umstrukturierungen eingeleitet. Die wichtigsten: Es soll künftig eine zentrale Anlaufstelle für Krebspatienten an dem Großkrankenhaus geben – und: Ein auf die jeweilige Tumorart spezialisiertes, interdisziplinäres Team soll über jeden einzelnen Erkrankungsfall diskutieren und einen Behandlungsplan erarbeiten.
Die gestiegenen Anforderungen an das Expertenwissen heute betreffen auch die Frage, wann ein „Mehr“ in der Therapie dem Patienten keinen zusätzlichen Nutzen mehr bringt. In der Tumortherapie gelte immer seltener „je mehr, desto besser“, erklärt Trepel. Auch hier lerne man ständig dazu. Beispiel: Wenn ein Tumorpatient ein hohes Risiko für Knochenmetastasen habe, erhalte er üblicherweise knochenhärtende Mittel per Infusion, was jedoch auch unangenehme Nebenwirkungen habe. Jetzt habe man herausgefunden, dass eine vierteljährliche Gabe der Infusionen anstelle der monatlichen denselben Nutzen für den Patienten habe, bei weniger Belastung und Risiken.
Chefarzt Prof. Trepel: "Krebs wird irgendwann beherrschbar sein"
Was die Tumorbehandlung insgesamt betrifft, äußert sich Trepel recht optimistisch: „Jedes Jahr kommen kleine Steinchen dazu“, erklärt er, „und es geht kein Weg dran vorbei, dass die Krankheit irgendwann beherrschbar sein wird.“ Dann wären Tumorleiden ein zwar unliebsamer, aber kontrollierbarer Gast wie die Zuckerkrankheit. Was bedeuten würde, dass man auf diesen Gast zwar aufpassen muss, aber mit ihm leben kann. „Ich glaube, dass wir dieses Ziel für einen großen Teil der Krebsarten in den nächsten zehn oder fünfzehn Jahren erreichen können“, so der Chefarzt.
Schließlich habe man in den zurückliegenden Jahren immer wieder Überraschungen erlebt: Beim Malignen Melanom etwa habe sich über Jahrzehnte mehr oder weniger gar nichts getan, und „plötzlich, innerhalb von drei Jahren, haben wir mehrere fantastische neue Therapiemöglichkeiten für diese Krankheit“. Oder Darmkrebs: Da habe es vor über fünf Jahren große Fortschritte gegeben, dann fünf Jahre eher weniger, „und jetzt fängt es wieder mit wichtigen Neuerungen an“. Selbst Patienten mit Metastasen könne man zu längerem Überleben oder, in seltenen Fällen, auch zu einer Heilung verhelfen.
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