Nocebo: Wenn der Beipackzettel krank macht
Informationen über Nebenwirkungen auf Beipackzetteln von Medikamenten können die Gesundheit beeinflussen - aber nicht nur im guten Sinne. Schuld daran ist der Nocebo-Effekt.
Wer den Beipackzettel eines Medikaments liest, der wird krank. Das zeigen Erfahrungen, die Forscher an an einer US-amerikanischen Universität gemacht haben. Schuld ist der Nocebo-Effekt, der böse Gegenspieler des Placebo-Effekts. Das aus dem Lateinisch stammende Placebo bedeutet übersetzt: " Ich werde gefallen", Nocebo bedeutet:"Ich werde schaden".
Wie wirkt der Nocebo-Effekt?
"Nocebo-Effekte sind negative psychologische oder körperliche Reaktionen", sagt Professor Ulrike Bingel, Leiterin der Schmerzambulanz am Universitätsklinikum Essen, "Symptomverschlimmerungen oder das Neuauftreten von Symptomen, die ausgelöst werden durch negative Erwartungen, negative Überzeugungen oder negative Vorerfahrung und Angst". Ein Beipackzettel, der über etwaige Nebenwirkungen berichtet, kann sogar zur Ursache einer Krankheit führen.
Ein Fall aus den USA zeigt, wie stark ein solcher Nocebo-Effekt ausgeprägt sein kann. Wissenschaftler um den Psychiater Roy Reeves von der University of Mississippi in Jackson berichteten im Jahr 2007 im Fachmagazin „ General Hospital Psychiatry“ über einen jungen Mann, der an einer Antidepressiva-Studie teilnahm und sich mit den ihm überlassenen Psychopharmaka das Leben nehmen wollte.
Tatsächlich sackte sein Blutdruck so tief ab, dass der 26-Jährige in eine Notaufnahme kam. Dort stellten die Ärzte jedoch fest, dass der Mann zu jener Hälfte der Studienteilnehmer gehörte, die ein Scheinmedikament bekommen hatten. Die Kapseln enthielten also keinerlei Wirkstoff. Als der Mann davon erfuhr, verschwanden die Symptome rasch.
Nocebo ein häufiges Phänomen?
Bingel geht davon aus, dass der Nocebo-Effekt „ein ganz häufiges Phänomen“ ist. Viele Nebenwirkungen medikamentöser Behandlungen beruhten darauf, glaubt die Expertin.
Auslöser seien etwa Hinweise auf Risiken und Nebenwirkungen auf den Beipackzetteln von Medikamenten oder Angaben von Ärzten oder Apothekern. „Was Nocebo-Effekte auslösen kann, sind Informationen“, sagt Prof. Paul Enck, Forschungsleiter der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen.
Bekannt sei das Phänomen laut dr Zeitung Welt schon lange. Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts hätten Teilnehmer von Arzneimittelstudien über die Nebenwirkungen der Scheinmedikamente geklagt.
Nocebo-Patienten müssen behandelt werden
Auch Patienten, die unter Nocebo-Effekten leiden, müssten behandelt werden. Da die Psyche der Auslöser sei, müsse man auch dort ansetzen, meint Bingel. So könne man Nocebo-Effekte etwa mit angstlösenden Benzodiazepinen beeinflussen. Meist würden Ärzte jedoch einfach die ursprünglich verordnete Arznei wechseln. Gefährlich werde es dann, wenn Patienten auf eigene Faust handeln, sagt die Expertin: "Wenn Patienten Medikamente absetzen, die sie eigentlich brauchen, ist das schon gravierend." (AZ)
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