Viele Krebspatienten sterben an Mangelernährung
Weil die Ernährungstherapie vernachlässigt wird, ist Mangelernährung ein Zusatzrisiko für Krebspatienten, das tödlich enden kann. Ein Experte spricht von 50.000 Fällen pro Jahr.
Um die Ernährung bei Tumorerkrankungen ging es kürzlich bei einer Tagung des Cancer Centers im Augsburger Klinikum. Ein Gespräch mit Hauptredner Professor Markus Masin.
Warum ist Ernährungstherapie bei Krebspatienten ein wichtiges Thema?
Wenn ein Patient mit einer Tumorerkrankung zum Onkologen geht, will er entweder geheilt werden oder, wenn das nicht möglich ist, Lebenszeit gewinnen. Die kann ihm ein Onkologe mit moderner Therapie sicher schenken. Aber es kann dazu kommen, dass der Patient nicht mehr essen kann. Bei etwa einem Drittel der Krebspatienten ist das aufgrund von Appetitlosigkeit, Geschmacksveränderungen, Aversionen gegen bestimmte Lebensmittel und Ähnlichem der Fall. Und wer nicht isst, der verhungert - das war schon immer so und wird auch immer so bleiben.
Prof. Masin: 25 Prozent der Krebspatienten sterben an Mangelernährung
Sind Gewichtsverlust und Auszehrung bei Krebspatienten unvermeidlich, da durch die Krankheit selbst bedingt?
Ein Drittel der onkologischen Patienten übersteht die Erkrankung hervorragend, ein weiteres Drittel – Patienten, die an Tumoren des oberen Gastrointestinaltrakts leiden – hat Schluckbeschwerden und kann über Flüssignahrung sehr gut ernährt werden. Das letzte Drittel leidet aufgrund einer hohen Zytokinaktivität an Nahrungsaversionen, die Patienten mögen kein Fleisch mehr, oder Süßes erscheint ihnen bitter. Sie können einfach nicht mehr essen, und es kommt zu einem Gewichtsverlust.
Welche Folgen hat das?
Es verschwindet nicht die Fettmasse, sondern als Erstes die Muskulatur. Beine und Arme werden dünner. Dadurch kommt es zu Schwäche und zur Fatigue, der gefürchteten chronischen Erschöpfung. Es ist ein Teufelskreis, aus dem der Patient nicht mehr herauskommt. Manchmal müssen modernste Therapien abgebrochen werden, weil der Patient es nicht mehr schafft, in die Praxis zu kommen. Wenn es so weit ist, haben alle verloren. Man stelle sich einmal vor: 25 Prozent aller onkologischen Patienten versterben nicht an ihrer Tumorerkrankung, sondern an krankhafter Mangelernährung! Das sind hierzulande 50.000 Patienten pro Jahr. Es sind Menschen, die möglicherweise noch leben könnten, wenn sie ernährungstherapiert worden wären.
Ernährungstherapie würde helfen - wird aber vernachlässigt
Was kann man mit Ernährungstherapie erreichen?
Dass die Patienten wieder Gewicht zulegen und an Kraft gewinnen. Das heißt, dass sie, nachdem sie zum Beispiel wochenlang nur auf der Couch gelegen hatten, wieder etwas im Haushalt machen können – oder sonst irgendetwas, was sie gerne tun. Dadurch gewinnen sie deutlich an Lebensqualität.
Wie ist es um die Situation von Krebspatienten in puncto Ernährungstherapie in Deutschland bestellt?
Im Moment ist es so, dass häufig Mitarbeiter der Industrie auf den Stationen Beratung machen, was ganz problematisch ist. Nur in wenigen Ausnahmen gibt es eigene Experten in den Häusern. Die Ernährungstherapie ist ein Stiefkind in der Medizin und wird kaum anerkannt. Es müsste verpflichtend sein, sowohl bei niedergelassenen Ärzten als auch in Kliniken, dass die Qualitätsstandards/Leitlinien umgesetzt werden und dass es grundsätzlich eigene Mitarbeiter gibt, die sich um ernährungstherapeutische Maßnahmen kümmern. Wenn das gelänge, wären wir einen großen Schritt weiter, doch davon wir sind noch kilometerweit entfernt.
Was müsste im Fall jedes einzelnen Tumorpatienten getan werden?
Jeder Patient muss ernährungsmedizinisch betreut werden – das sollte Standard sein. Ein Screening auf Mangelernährung sollte Pflicht werden. Fällt ein Patient dabei auf, müssen ernährungstherapeutische Maßnahmen beginnen. Wobei Ernährungsmedizin manchmal mit Diätetik verwechselt wird. Aber eine Diät braucht der Patient nicht, es gibt keine Verbote. Er darf alles essen, was er will.
Das können Patienten tun
Kann ein Patient selbst etwas tun, wenn er merkt, dass er abnimmt?
Ja. Wenn er fünf Prozent seines Körpergewichts binnen vier Wochen oder zehn Prozent in drei Monaten verliert, sollte er das bei seinem Arzt ansprechen. Die Konsequenz sollte sein, dass sich der Arzt mit ihm zusammensetzt und schaut, woran es liegt. Möglicherweise kann dem Patienten mit Ernährungsberatung geholfen werden. Wenn er aber an Appetitlosigkeit, Geschmacksveränderungen, Erbrechen oder Nahrungsmittelaversionen leidet, braucht er eine gezielte Ernährungstherapie.
Viele Patienten suchen auch Hilfe durch spezielle Krebsdiäten …
Ja, die Patienten wollen sich etwas Gutes tun. Aber aus ernährungsmedizinischer Sicht machen Krebsdiäten keinen Sinn.
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