Wenn die Seele Schnupfen macht
Ist die Seele nicht in Ordnung, läuft die Nase? Zoff mit dem Partner oder eine Kündigung können Allergien verstärken. Auslöser einer Allergie sind sie aber nicht, sagt der Experte.
Norbert Mülleneisen ist Lungenfacharzt in Leverkusen, außerdem Vorstandsmitglied im Ärzteverband Deutscher Allergologen. Wir fragten ihn, welchen Einfluss die Psyche auf Allergien hat.
Sie befassen sich auch mit Psychosomatik. Wie kommt es, dass Allergiker manchmal beim bloßen Gedanken an „ihr“ Allergen, etwa beim Anblick eines Katzenfotos, niesen müssen?
Mülleneisen: Wenn der Patient vielleicht schon 25-mal einen Asthma-Anfall nach Kontakt mit einer Katze hatte, ist dieses Erlebnis in seiner Vorstellungswelt so verankert, dass schon der Anblick eines Fotos reicht, um ebenfalls einen Anfall auszulösen. Das ist ein häufiges Phänomen. Ein Freund von mir, selbst Arzt, hat eine Geranienallergie. Im Urlaub kam er einmal in ein Hotel, in dem lauter Geranien standen, und er merkte, wie seine Atemwege sich zusammenzogen. Erst später hat er dann festgestellt, dass es Plastikblumen waren. Das ist wie beim pawlowschen Reflex, der „operanten Konditionierung“: Wenn man immer ein Glöckchen läutet, ehe der Hund Futter bekommt, wird ihm irgendwann schon das Wasser im Mund zusammenlaufen, wenn er nur das Glöckchen hört.
Können Stress oder negative Gefühle wie Angst die Symptome einer Allergie verschlechtern?
Mülleneisen: Ja. Die Veranlagung für Asthma beziehungsweise eine Allergie ist zwar angeboren, aber wenn Sie gerade Zoff mit Ihrem Ehepartner hatten oder die Kündigung bekommen haben, werden Sie stärker auf Ihr Allergen reagieren. Psychische Verstimmung, Stress, Ärger, Angst oder Konflikte, all das sind Faktoren, die ein Asthma oder eine Allergie verschlimmern können. Und so kommt es, dass die gleiche Katze mal mehr, mal weniger Beschwerden hervorruft.
Umgekehrt hat man weniger Allergieprobleme, wenn man sich wohlfühlt?
Mülleneisen: Ja, genau so ist es. Wer frisch verliebt ist und auf Wolke sieben schwebt, dem macht auch die Katze nichts aus.
Die Psyche ist also zwar kein Auslöser von Allergien, aber ein Ko-Faktor?
Mülleneisen: Ja, sie kann die Beschwerden verschlimmern.
Was kann man den Patienten daher raten?
Mülleneisen: Sie sollten nicht nur das auslösende Allergen möglichst meiden und ihre Allergie durch eine Hyposensibilisierung behandeln lassen, sondern zum Beispiel auch Urlaubseffekte nutzen. Denken Sie an Kaiserin Sissi: Sie hatte ein Lungenleiden und zugleich eine Depression. Sie suchte Luftveränderung auf Madeira, und ihre Mutter kam, um sie aufzuheitern. Schon ging es ihr besser. Bei Luftveränderung fallen Stress, Ärger und Konflikte vom Arbeitsplatz weg, und dadurch bessern sich auch Asthma-Symptome. Für den Alltag gibt es aber auch viele Entspannungstechniken wie autogenes Training, Yoga oder Atemtherapie, die man nutzen kann.
Gibt es auch Fälle, bei denen eine Psychotherapie sinnvoll wäre?
Mülleneisen: Ja, aber selten. Eine Psychotherapie ist in der Regel nicht erforderlich, weil Asthma beziehungsweise Allergien ja keine psychischen Erkrankungen sind. Einem Allergiker geht es allerdings je nach Wetter und anderen Umwelteinflüssen mal mehr, mal weniger gut. Das sollte er seinem Umfeld erklären, damit man ihn nicht für seltsam hält – und ihm ebenfalls seltsam begegnet.
Gibt es eine „Allergiepersönlichkeit“, die für das Auftreten von Allergien prädisponiert?
Mülleneisen: Nein! Was es gibt, ist eine ererbte Veranlagung für Allergien, und obwohl wir heute die gleichen Gene haben wie früher, haben wir heute viel mehr Allergien. Warum? Das ist eine Frage der „Epigenetik“. Durch bestimmte Umwelteinflüsse wie Rauchen, Luftverschmutzung und falsche Ernährung werden mehr Gene „abgelesen“, die für Allergien zuständig sind. Da gibt es ganz spannende Entwicklungen. So hat etwa eine Studie herausgefunden, dass Enkelkinder von Großmüttern, die in der Schwangerschaft geraucht haben, häufiger an Allergien und Asthma leiden. Das muss man sich mal vorstellen! Genauso unglaublich ist es, dass hierzulande 30 Prozent der Bevölkerung an irgendeiner Allergie leiden – eine irre hohe Zahl. Allein zwischen 2009 und 2012 hat Asthma in Deutschland um fast neun Prozent zugenommen. Das sind Entwicklungen, die uns mit großer Sorge erfüllen.
Trotzdem werden viele Allergiker nur unzureichend behandelt ...
Mülleneisen: Ja, leider werden allergische Erkrankungen nicht so ernst genommen, wie man sie nehmen sollte. Die Unterbehandlung ist ein Problem. Man denke nur an die dadurch verursachten Arbeitsausfallszeiten, den Verlust an Lebensqualität oder an Kinder, die im Frühjahr schlechtere Noten nach Hause bringen als im Herbst. Man denkt, die Kinder seien vielleicht psychisch auffällig, in Wirklichkeit haben sie nur schlechten Schlaf, weil nachts die Nase dicht macht. Das ist keine Seltenheit.
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