Glücklichsein kommt von Tun!
In der Weststadtschule in Neu-Ulm können Zweitklässler spielend lernen, was es braucht, um glücklich zu sein. Möglich machen das zwei engagierte Glücksbotinnen.
Mathe, Deutsch, Kunst – und Glück. An der Neu-Ulmer Weststadtschule steht „Glück“ seit diesem Schuljahr auf dem Unterrichtsplan. Darin hat die Ethikgruppe nicht nur was zu lachen: In 45 Minuten erfahren die achtjährigen Jungen und Mädchen eine ganze Menge über sich selbst und eine gesunde Ausstattung fürs Leben – von A wie Achtsamkeit bis Z wie Zutrauen.
„Spielerisch und doch ernst bei der Sache“ sollen die 18 Grundschüler herausfinden, „was kann ich gut, was muss ich lernen?“. Dabei unterstützen Katrin Strazzeri und Hanna Münch die Kinder mit einem erfrischenden Konzept, mit dem sich ihrer Meinung nach „Glück zu erleben und auch anderen Glück zu bereiten, genauso gut lernen lässt wie Lesen, Schreiben und Rechnen“.
Vor der ganzen Klasse tanzen
Die beiden Frauen finden es einfach schön, „die Kinder für etwas begeistern zu können, das nicht im Lehrplan steht“. Neugier auf Neues wecken Katrin Strazzeri und Kollegin Hanna Münch zum Teil mit ganz einfachen Wahrnehmungs-, Konzentrations- und Achtsamkeitsübungen wie etwa Rollenspiele, rhythmischen Bewegungen, Tanz oder Atemübungen im Sitzkreis, mit dem die Glücksklasse immer ihren Unterricht beginnt. Um das jedem Menschen eigene Verständnis von Glück fühlen und ausdrücken zu können, ist es nach Ansicht der Glücksexpertinnen ganz wichtig, sich Dinge bewusst zu machen und zu lernen, sich auf Neues einzulassen. Auch wenn es Überwindung kostet. Wie zum Beispiel bei der Aufgabe, in eine andere Rolle zu schlüpfen, diese eine Glücksstunde lang durchzuhalten und in ihr sogar vor der ganzen Klasse zu tanzen. Das zu schaffen, begleitet vom Applaus der Mitschüler – das tut einfach gut. Und genau das sollen die Kinder im Glücksunterricht erfahren. Katrin Strazzeri ist überzeugt: „Gute Gefühle verstärken und ausdrücken, positives Denken – das macht Kinder stark fürs Leben.“
Das Schulfach Glück extra dafür erfinden mussten die beiden Frauen, die zusammen auch als Gesundheitsclowns in Altenheimen, Krankenhäusern oder Schulen auftreten, nicht. Der damalige Heidelberger Schuldirektor Ernst Fritz-Schubert hat 2007 an der Willy-Hellpach-Schule das erste stundenplanreife Fach „Glückslernen“ entworfen. Aus der Praxis dieser „Lebenskompetenz“-Schulung berichtete er, dass glückliche Schüler weniger streiten, kreativer sind, leichter lernen und wissen, worauf es im Leben wirklich ankommt. In Aachen entwickelte ebenfalls im Jahr 2007, jedoch von Fritz-Schubert unabhängig, die Lehrerin Anne Katrin Voss ein einjähriges Curriculum unter dem Titel „Glücklichsein – wie geht das?“ Die Glückssuche im Stundenplan macht fortan Schule.
Ein Gefühl für den eigenen Wert entwickeln
Mit Erfolg laufen Glücks-Projekte inzwischen an mehr als hundert Schulen im deutschsprachigen Raum. „Social and Emotional Learning“ macht in den USA und Großbritannien die Lernenden froh und in Indien ist Glück seit Juli letzten Jahren sogar Pflichtfach an den Schulen. Und was können wir unseren Kindern mitgeben?, fragen sich die beiden Frauen, die selbst Mütter sind. Im Kern gehe es doch – und daran orientieren sich die Glückslehrerinnen auch in ihrem Pilotprojekt – um wirklich große Themen: Lebensfreude, festen sozialen Halt, Zukunftsvertrauen, Angenommensein und Fröhlichkeit. Ganz wichtig für Kinder: ein Gefühl für den eigenen Wert entwickeln. Strazzeri und Münch sind überzeugt davon, dass der Glücksunterricht den Schülern im Alltag nützt. „Es gibt mehr im Leben als Leistungsdruck, Prüfungen, Handys und soziale Medien, bei denen man nichts verpassen darf und es wird immer wichtiger, dass die Kinder das rechtzeitig lernen.“
Vision: Glücksschulen überall
Seit Oktober letzten Jahres lehren Katrin Strazzeri und Hanna Münch Kinder an der Neu-Ulmer Weststadtschule „Glück“. Ihre optimistische Vorstellung davon, dass der in der Region Ulm und Neu-Ulm beispielhafte Praxisversuch von „Glück“ ankommt, ist längst übertroffen. Viele Unterstützer über die Crowdfunding-Plattform „Viele schaffen mehr“ der VR-Bank Neu-Ulm sowie Spenden halfen mit, den Projektfortschritt mindestens bis Ende des Schuljahres sicher zu stellen. „So können wir mit Glück in die Zukunft planen“, freuen sich die Pionierinnen. Projektanträge für noch mehr „Glück“ sind bereits auf den Weg gebracht, viele Kontakte zu am Glücksfach interessierten Schulen geknüpft. Geht es nach den beiden Glücksbotinnen, gibt es in Zukunft am besten nur noch „Glücksschulen“.
Auch die Rektorin der Weststadtschule, Andrea Freier, ist vom Glücksprojekt an ihrer Schule begeistert und sieht in diesem ergänzenden Unterrichtsangebot durchweg positive Effekte: „Wir freuen uns sehr, dass wir den Glücksunterricht an unserer Schule ausprobieren und anbieten dürfen. Die Kinder haben nicht nur viel Spaß an diesem 'etwas anderen' Unterricht, sondern lernen auch, sich selbst und ihre Mitmenschen noch sensibler wahrzunehmen. Da das Projekt erfreulicherweise nun weiter finanziell unterstützt wird, kommen im zweiten Halbjahr nun noch mehr Kinder in den Genuss des Glücksunterrichts.“
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Gerade Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien wagen den Schritt an Universität und Hochschule nicht. ArbeiterKind.de ermutigt zum Studium.