
Geraten Senioren durch die Pandemie in eine gefährliche Isolation?

Plus Wegen der Corona-Auflagen sind gerade Senioren in ihren Kontakten sehr eingeschränkt. Manche trauen sich nicht mehr aus dem Haus. Für sie gibt es Hilfsangebote.
Besuche von Freunden und Bekannten sind zurzeit oft ebenso wenig möglich, wie ein gemeinsames Kaffeetrinken. Gerade für Senioren bedeuten die derzeitigen Corona-Auflagen, dass sie in ihren Kontakten sehr eingeschränkt sind. Manche Hausärzte sind in Sorge um ihre betagten Patienten – weniger wegen der Ansteckungsgefahr, sondern wegen der Ängste, der Isolation und der Gefahren, die sich daraus ergeben.
Die Friedberger Ärztin Ingrid Eichner berichtet: „Viele alte Menschen haben Angst. Aber wenn sie deswegen nicht mehr rauskommen, lassen ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten schnell nach.“ Gefährlich sei außerdem, dass gesundheitliche Probleme nicht rechtzeitig erkannt und versorgt werden. „Alle Kollegen merken einen Rückgang der Praxisbesuche“, sagt Eichner und erzählt von einer Patientin, die drei oder vier Monate trotz Problemen nicht zum Arzt gegangen war. Als sie sich endlich hintraute, fand man einen Tumor in ihrem Bauchraum.
Die Ärztin setzt auf Aufklärung darüber, dass es in den Arztpraxen mittlerweile so gute Schutzmaßnahmen gibt, dass Patienten keine Ansteckung mehr befürchten müssen. Angehörigen von Senioren rät sie, diese bei aller Sorge trotzdem zu treffen – mit Abstand und FFP-2-Maske. Diese Masken seien auch für Senioren, die einkaufen oder spazieren gehen wollen, eine gute Möglichkeit.
Die Versorgung, zum Beispiel mit Nahrungsmitteln und Medikamenten, wird nämlich bei einigen ebenfalls zum Problem. Zwar gibt es viele Unterstützungsmöglichkeiten – etwa die Helferkreise, Betreuungsangebote der Sozialstationen oder kirchliche Angebote – doch die Senioren kennen sie manchmal gar nicht.
"Essen auf Rädern" ist mehr gefragt
Stark nachgefragt ist beim Kreis-Caritasverband das Angebot von Essen auf Rädern. „Es hat mit Corona noch mal einen Sprung gemacht“, sagt Hanni Kern, die Leiterin des Bereichs. Sonst sei immer mal wieder der eine oder andere Kunde abgesprungen. „Das war heuer nicht so.“ Es seien stattdessen viele dazugekommen. Seit Oktober sind die drei Ausfahrer mit zwei Autos unterwegs, um die beiden Touren durch den nördlichen Landkreis bis Mittag bewältigen zu können. Statt an drei Tagen wie im vergangenen Jahr wird das Essen heuer jeden Tag ausgeliefert.

Die Auslieferer gehen mit Masken in die Wohnung und auch die Senioren würden Abstand halten, erzählt Kern. Gesprächsbedarf sei da, Zeit für einen Ratsch hätten sie jedoch kaum. Ein „ganz kurzer Ratsch“ sei aber immer mal drin.
Eine 70-jährige Frau fühlt sich eingesperrt
Es sei nicht leicht, so eingesperrt zu sein, erzählt eine 70-Jährige, die namentlich nicht genannt werden will. „Es gibt wenig Kontakte und gar keine Berührungen.“ Sie fühle sie wie lahmgelegt. „Aber es muss sein – und der telefonische Kontakt bleibt ja.“ Einer anderen Seniorin, 74 Jahre alt, fehlen die Besuche in den Geschäften. „Aber insgesamt komme ich gut klar.“ Das Vereinsleben falle weg, aber die Nachbarschaftshilfe auf dem Dorf sei groß. Die 74-Jährige kann dem Lockdown sogar etwas Positives abgewinnen: „Es gibt keine Ablenkung mehr und man kommt zu sich selber.“
Eine 85-Jährige aus Ecknach (Stadt Aichach) fühlt sich weder einsam noch isoliert. Sie sagt: „Ich sehe vor allem die Notwendigkeit.“ Ihr ist aber auch bewusst: „Das ist eine Frage der Einstellung.“ Sie beschäftigt sich viel mit ihrem Computer und dem Handy. „Ich habe nie Langeweile. Im Gegenteil.“ Die 85-Jährige hat den Zweiten Weltkrieg erlebt und sagt: „Mit Corona ist das überhaupt kein Vergleich. Alleine, was da an Entbehrungen war und wie man uns behandelt hat ...“ Das einzige, was sie wirklich bewegt, „ist die Angst, dass ich krank werden könnte.“ Deshalb will die 85-Jährige sich auch sofort impfen lassen, sobald sie den Bescheid erhält.
Besuchsdienst macht weiter
Je nach Charakter würden die Senioren unterschiedlich mit der Situation umgehen, ist die Erfahrung von Sybille Stegmair, Dienststellenleiterin des Malteser-Kreisverbandes. „Je länger die Krise dauert, umso schwieriger wird es.“ Am Anfang hätte man sich noch motivieren können. „Jetzt wird es schwieriger und die Leute leiden schon darunter.“ Vor allem für Menschen, die zum Beispiel schon vorher unter Depressionen litten, sei es sehr viel schwieriger als für die, die ein relativ stabiles Gemüt haben, sagt Stegmair. „Wir telefonieren recht viel und versuchen, ihnen Mut zu machen.“
Ihren Besuchsdienst bieten die Malteser nach wie vor an. „Wir haben aber ganz viel auf Telefon umgestellt.“ Bei Besuchen versuchen die ehrenamtlichen Helfer, sich zusammen mit den Senioren viel im Freien zu bewegen. Stegmairs Erfahrung: „Corona bringt mit sich, dass man relativ flexibel und individuell auf die Situation reagieren muss.“ Als Lichtblick am Horizont würden viele Senioren die Impfung empfinden. „Sie sehen darin ein Stückchen Freiheit.“
In Heimen fehlt das soziale Leben
Das Gefühl der Isolation spiele vor allem in Pflegeheimen eine große Rolle, sagt Sebastian Hartmann, Geschäftsführer der Aichacher Caritas-Sozialstation. Die Sozialstation bietet ambulante und über das Pflegezentrum St. Hildegard in Pöttmes auch stationäre Pflege an. Das Fortschreiten der Pandemie im Herbst mache den Leuten in der Einrichtung sehr zu schaffen, so Hartmann. „Das soziale Leben im Haus fehlt.“ Das ganze Jahr über hätten keine Gemeinschaftsaktionen oder Feste stattgefunden.
Die Impfung nimmt seiner Meinung nach den Menschen die Angst vor einer schlimmen Erkrankung. Hartmann weist darauf hin, dass die Einschränkungen trotz Impfung erhalten bleiben werden. „Es wird weiterhin Besuchseinschränkungen geben und es werden im Haus gewisse Restriktionen beibehalten werden müssen.“ (mit kru)
Einen Kommentar dazu lesen Sie hier: Wie hilft man Senioren am besten durch die Corona-Krise?
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