Während in Zukunft auf dem Filetgrundstück neben der Nikolauskirche in Herrsching viele neue Mieter wohnen werden, haben Grabungen auf den 3000 Quadratmetern zu einer absolut unerwarteten Erkenntnis über die Vergangenheit geführt: Bereits im 4. Jahrhundert v. Christus und damit deutlich früher als bisher angenommen siedelten Menschen auf dem begnadeten Fleck, auf dem sich heute die Ammersee-Gemeinde befindet. Das Grabungsbüro Phoinix aus Pöcking war am Ende seiner mehr als einjährigen Grabungen auf das Skelett einer zierlichen Frau gestoßen, deren Schmuck sie als Keltin aus der Latène-Zeit, der jüngeren Eisenzeit, identifiziert.
Nahe der Herrschinger Nikolauskirche wurde bei früheren Grabungen auch eine römische villa rustica entdeckt
„Ein Keltengrab zu finden, hat uns sehr überrascht“, erklärt Ausgrabungsleiter Stefan Mühlemeier, zumal man in und um Herrsching nie zuvor auf Zeugnisse einer Besiedlung aus vorrömischer Zeit getroffen sei. Dass das an die Kirche angrenzende Grundstück, auf dem die Gemeinde bis Herbst 2027 insgesamt 26 Wohnungen im Geförderten Wohnungsbau errichten wird, so manches Fundstück beherbergen würde, davon sei schon auszugehen gewesen. Immerhin befinden sich die Adelskirche aus frühmittelalterlicher Zeit, genauer: aus dem Jahr 739, sowie die römische villa rustica, die man bei früheren Grabungen entdeckt hat, am Rande des heutigen Friedhofs und damit ganz in der Nähe der Kirche, deren erste Erwähnung ins Jahr 1216 fällt.

„Man kann generell davon ausgehen, dass eine heutige Kirche dort steht, wo schon das allererste Gotteshaus stand und dass sich in ihrer Nähe Teile des Altortes befunden haben“, sagt Mühlemeier. Eben aus diesem Grund hat das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege den Bauherren dazu verpflichtet, vor Baubeginn ein archäologisches Büro mit Grabungen zu beauftragen. Und tatsächlich stießen Mühlemeier und seine Leute zwischen November 2023 und Herbst 2024 auf der „Schüblerwiese“ auf rund 500 Befunde und Fundstücke. Zu ersteren zählen diverse Pfostengruben, die im Frühmittelalter zum Hausbau verwendet wurden, sowie ein Mäuerchen aus Tuffstein aus der Römerzeit. Unter den Fundstücken befinden sich mittelalterliche Keramikscherben sowie spätantike Münzen mit den Konterfeis römischer Kaiser, die eine historische Einordnung erleichterten.
Das weibliche Skelett aber, das direkt neben der Pfarrkirche entdeckt wurde, ist der ultimative Beweis dafür, dass nicht erst die Römer „an hübschen Plätzen gesiedelt haben“, wie Mühlemeier sagt, sondern bereits die Kelten. Für ausschlaggebender als die Schönheit des Fleckchens hält der Archäologie indes wohl die „Verkehrsgunst“ des Ortes, also dass hier wohl die einzige Möglichkeit bestanden habe, um am Seeufer nach Westen und Norden zu gelangen. Rundherum sei das Gelände zu moorig und damit unwegsam gewesen.
Im Keltengrab in Herrsching bestattete Frau stammt aus dem 4. Jahrhundert vor Christus
„Das Skelett selbst war nicht mehr sehr gut erhalten“, schildert der Archäologe, so fehlten bereits fast alle Rippen. Hintergrund des schlechten Zustands sei zum einen die geringe Tiefe, in der die Knochen vergraben gewesen seien. Zum anderen hätten ihnen chemische Prozesse zugesetzt, die die landwirtschaftliche Nutzung der Neuzeit in Gang gesetzt habe. Gut erhalten sind dagegen die Schmuckstücke, die man der 1,52 Meter großen, zwischen 20 und 40 Jahre alten, kariösen Frau als Grabbeigabe mitgegeben hat: ein Halsring, zwei Armringe aus Bronze, mehrere Fibeln (Gewandspangen) sowie ein filigraner, bronzener Fingerring, der, aus nur einem Stück gewickelt, ein Meisterwerk früher Schmuckkunst sei.

Sie lassen nicht nur den Schluss zu, dass die Frau im 4. Jahrhundert v. Christus gelebt hat, sondern auch, dass es ihr wirtschaftlich gut gegangen ist. „Man kann davon ausgehen, dass sie nicht arm war“, erklärt Mühlemeier. Die wenigen Gräberfunde aus keltischer Zeit in Bayern erschwerten fundierte Aussagen darüber jedoch, es fehlten Referenzen. In der Gegend rund um den Ammersee bislang entdeckt worden sind in Steinebach eine große keltische Siedlung, Gräber in Raisting und im Gewerbegebiet Inning eine weitere Siedlung aus der Zeit.
Die Fundstücke aus Herrsching werden derzeit aufbereitet und demnächst dem Landesamt für Denkmalpflege übergeben, bevor sie dauerhaft in der Archäologischen Staatsammlung in München ausgestellt werden. Es sei denn, die Gemeinde Herrsching, Eigentümerin des Fundortes, kann eine „fachgerechte Archivierung und Lagerung der Funde durch eine fachlich besetzte Einrichtung gewährleisten“. Dann nämlich dürfte sie nach einer Novellierung des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes Anspruch auf die Grabungsstücke erheben.
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