Anfang Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Entfesselt vom Deutschen Reich, hatte er binnen sechs Jahren weltweit rund 60 Millionen Menschenleben gefordert. Die Redaktion des Augsburger Landboten und der Schwabmünchner Allgemeinen arbeitet zum Kriegsende vor 80 Jahren noch einmal die Erinnerungen der letzten Zeitzeugen auf. Sofia Schafnitzel, 91 Jahre alt, aus Ellgau, erzählt:
Ich bin aus Thierhaupten. Am Ende des Krieges, da war ich zehn Jahre alt, hat mein Vater jeden Tag die Kühe vor einen Wagen gespannt und ist mit uns über Nacht im Wald geblieben. Wir waren sechs Kinder, aber eines starb früh nach der Geburt. Als es hieß, ‚die Amis kommen‘ sind wir mit insgesamt 30 Personen zu meiner Tante nach Hölzlarn, haben uns dort auf den Boden gelegt und gewartet. Weil meine Tante einen Soldaten im Keller versteckt hatte, hatten wir große Angst.
Die Mutter hat den Bruder im Taubenschlag versteckt
Einen Tag später ist mein Vater zu einer Hausschlachtung gegangen. Da landeten drei Granaten in unserem Hof in Thierhaupten. Wir spähten aus der Tür raus - da explodierte eine der Granaten. Ein Splitter traf meine Mutter im Hals. In Kloster Holzen wurde sie später zum Glück gut medizinisch versorgt. Mein Bruder war in Stettin im Einsatz. Als er kurz vor Kriegsende heim durfte, hat meine Mutter ihn zwei, drei Wochen lang im Taubenschlag versteckt. Da war schon klar, dass der Krieg verloren war. Aber erst, als die SS (Anm. d. Red.: Die SS war die Schutzstaffel der Nazis, eine militärische und auch paramilitärische Organisation) Richtung Sand abzog, war wirklich Ruhe.
Ich weiß noch, wie zwei ganz junge Soldaten über den Lech fliehen wollten, aber die Brücke war schon kaputt. Die SS schnappte sich die zwei und wollte sie im Gasthof Schaller hängen. ‚Nur über meine Leiche‘, sagte die Wirtin. Und der Pfarrer sagte: ‚Nehmt mich stattdessen.‘ Die zwei, wir erfuhren hinterher dass sie erst 16 Jahre alt waren und aus dem Raum Nürnberg stammten, hatten keine Chance. Am nächsten Tag waren sie tot. Man hatte sie beim Kloster aufgehängt. Ich sehe noch bildlich die Szene vor mir, wie man mich nach dem Krieg zum Schaller holte, zu einer Art Gerichtsverhandlung. Drei ganz in schwarz gekleidete Männer forderten von mir eine Aussage, ob mein Vater sich an Plünderungen beteiligt hatte. Sonst würde er gehängt. Ich habe so bitterlich geweint, dass sie mich nach Hause geschickt haben. Wie es ausging, weiß ich nicht mehr, ich stand unter Schock.“
Selbst der Volksempfänger konnte den Bruder nicht zu Hause halten
Einer meiner Brüder ging gerne aus. Er machte eine Lehre zum Maurer beim Riebl in Meitingen. Ich seh‘ ihn noch heimkommen mit dem großen Karton. Da war sein Anzug drin, gekauft vom ersten Gehalt. Einmal hatte er sich im Heim der Hitlerjugend so geprügelt, dass er zur Strafe sechs Wochenenden lang in Neuburg Dienst tun musste. Zu meinem Vater hat er immer gesagt, ‚Kauf halt einen Volksempfänger, dann bleib‘ ich auch auch daheim.‘ Aber selbst, als der Volksempfänger da war, war mein Bruder abends unterwegs.
Als unser Onkel hinter Baar, in Kühnhausen, nach einem Bombenangriff alles verloren hatte, hat mein Vater eine Kuh hinübergetrieben, um der Familie zu helfen. Ich schob das Rad nebenher. Mit dem ist mein Vater am nächsten Tag heim - und ich später mit dem Bus. Die Nacht hatte ich mit meiner Cousine im Maisstadel geschlafen. Die hatten wirklich gar nichts mehr. Bei der Feldarbeit sind die Ochsen meiner Tante dann noch auf eine Granate getreten und haben sich verletzt.
Warum Ellgau keine Brücke über den Lech hat
Meinen Mann habe ich später bei einem Sommernachtsball an der Lechbruck kennengelernt, das war eine schöne Zeit. So kam ich dann doch über den Lech rüber. Knechte und Mägde sind früher immer auf ihrer Seite geblieben. Als das Ellgauer Kraftwerk gebaut wurde, hatte man über eine Brücke nachgedacht. Aber Bürgermeister Gaugenrieder war dagegen: ‚Da kommen nur lauter Verbrecher rüber.‘ Deswegen hat Ellgau bis heute einen Steg über den Lech. Jetzt bin ich 91 Jahre alt. Meine 70 Jahre alte Nähmaschine ist mein Leben. Ich war Schneiderin, kam 1947 in die Lehre. Ansonsten leb‘ ich jetzt halt, wie ich leb‘. Nur bei meinen Krankheiten frage ich mich manchmal, was ich wohl noch alles erleben muss.
Damals, im und nach dem Krieg, hatten wir gar nichts. Kein Geld, Schokolade vielleicht zu Weihnachten. Mein erstes Rad bekam ich nach der Hochzeit, 1953. Mein Bruder, der Xaver, genannt ‚Xavi‘, kam mit einem durchschossenen Arm aus dem Krieg zurück. Aber den Ring, den er seiner Freundin in Stettin geschenkt hatte - den hat sie ihm tatsächlich nach dem Krieg wiedergebracht. Allerdings kam sie aus dem Rheinland und nannte ihn Franz, weil sie mit ‚Xavi‘ nichts anfangen konnte. Seitdem hieß mein Bruder dann auch Franz. Geheiratet hat er aber eine andere.
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