Anfang Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Entfesselt vom Deutschen Reich, hatte er binnen sechs Jahren weltweit rund 60 Millionen Menschenleben gefordert. Die Redaktion des Augsburger Landboten und der Schwabmünchner Allgemeinen arbeitet zum Kriegsende vor 80 Jahren noch einmal die Erinnerungen der letzten Zeitzeugen auf. Einen Tag nach Kriegsende, am 9. Mai 1945, ist Karl Kaiser aus Dinkelscherben zehn Jahre alt geworden. Schon vor einigen Jahren hat der ehemalige Lehrer seine Erinnerungen für seine Kinder schriftlich festgehalten:
„Über politische Dinge hat Mama mit uns nicht gesprochen. Die Abwesenheit des Vaters hatte für mich als Sechs- bis Zehnjährigen keine Bedeutung. Das war halt so. Dass er ab Mitte 1940 in den Krieg musste, empfanden wir als notwendige Pflicht, genauso wie wir ihn in unser gemeinsames tägliches Abendgebet einschlossen. Auch die kriegsbedingten Einschränkungen waren allesamt als nötige Selbstverständlichkeiten hingenommen worden, etwa die Verdunkelung in allen Räumen und deren peinlich strenge Überwachung. Als selbstverständlich betrachtete ich auch die Luftschutzvorsorge droben im Speicher (Löschsand in einer Kiste, ein Eimer mit Kübelspritze und eine Feuerklatsche) und die Lebensmittelmarken.
Kriegshandlungen bekamen wir im Dorf nicht zu spüren. Zwar nahmen wir Kinder an den Trauerfeierlichkeiten für die Gefallenen teil, aber welche Tragödien dahintersteckten, realisierte ich nicht. Immer länger wurde die Liste derer, die jeden Sonntag von der Kanzel verlesen wurden.
Nach der Bombennacht von Augsburg war der Schnee rußbedeckt und die Sonne verdunkelt
Auch dies ein Ereignis aus Kriegstagen: Maja verbrachte den Urlaub in Bellenberg und ich durfte sie begleiten. In Neu-Ulm mussten wir umsteigen. Dort gab es Fliegeralarm, das hieß für alle Reisenden, den Luftschutzbunker neben dem Bahnhof aufzusuchen. Wir waren schon fast drinnen, als Maja erkannte, dass dieser zur lebensbedrohlichen Falle werden konnte. Sie nahm mich bei der Hand, zerrte mich fort und ging mit mir entlang der Gleise in Richtung Bellenberg. Wie weit wir liefen und wie wir schließlich unser Ziel erreichten, das weiß ich nicht mehr. Später erfuhr ich, dass just dieser Keller verschüttet wurde.
Die Bombennacht von Augsburg im Februar 1944 bekam ich nicht mit. Niemand hat mich geweckt. Der Tag danach machte mir Angst: Auf dem Schnee lag eine dicke Rußschicht und die Sonne war von einer dichten Rauchwolke verdunkelt, sodass es gar nicht richtig hell wurde. Ich befürchtete, dieser Zustand würde für immer anhalten. Nie mehr die Sonne sehen? Nach dieser Schreckensnacht kamen Ausgebombte ins Dorf und auch die ersten Flüchtlinge aus dem Osten, wie Margot, in unsere Klasse. Dass sie evangelisch war, stellte kein allzu großes Problem dar. Sie wurde halt in den katholischen Religionsunterricht integriert, wie später andere auch.
Dann kam der Krieg auch nach Dinkelscherben
Und dann kam der Krieg auch in unser Dorf. Zunächst erinnere ich mich noch an deutsche Soldaten, wie sie, von den vorrückenden Amerikanern vor sich hergetrieben, in Kolonnen auf der Hauptstraße in Richtung Dinkelscherben zogen. Dann kamen sie, die Amerikaner. An den Tag, als sie in Steinekirch einrückten, kann ich mich noch gut erinnern. Dieser Donnerstag, 26. April 1945, war ein strahlend blauer Frühlingstag. Auf der Wiese vor dem Bunker spielte ich mit einigen Buben ‚Kriegerles‘. Plötzlich Schüsse - mehrere hintereinander. Für mich war das das Zeichen, so schnell wir möglich nach Hause zu rennen. Ich sauste das ‚Märzagässle‘ hinunter und über die Dorfstraße. Da sah ich vom Oberdorf her den Bürgermeister Joseph Baumeister mit zwei anderen Männern kommen. Sie schwenkten eine weiße Fahne.“
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