99 Rösser zogen die Straßenbahnen
Im Jahr 1842 fuhren die Nachtzüge nach München mit Pferdekraft. Das dauerte acht Stunden. 1878 gab es noch 1159 Pferde in Augsburg.
Von Augsburg berühmtestem und ältestem Pferd ist nur der Kopf erhalten: In Bronze gegossen, einst vergoldet, könnte er Teil eines Reiter-Standbilds für einen römischen Kaiser gewesen sein. Anno 1769 lag der Pferdekopf aus der Römerzeit nach einer Überschwemmung an einem Wertacharm bei Pfersee. Jetzt ist er im „Römerlager“ im Zeughaus aus der Nähe zu betrachten.
Das Pferd war bereits bei den Römern das unverzichtbare Reit- und Zugtier. Das Pferd garantierte Mobilität, diente aber auch der Repräsentation und der Selbstdarstellung. Das änderte nach Ende der Römerzeit nicht. Aus dem 15. Jahrhundert stammen Bilder von Turnieren auf dem Fronhof der bischöflichen Pfalz beim Dom. Die Zeichnungen zeigen Ritter in Rüstung, die mit eingelegter Lanze auf Rössern gegeneinander reiten. Reichstage und Kaiserbesuche waren auch Pferdeshows. Die Gäste kamen mit Reitpferden, Kutschen und Packwagen. Die Reichsstadt Augsburg musste sicherlich 1000 Pferde zusätzlich versorgen.
Pferde zogen Kutschen, Bierwagen, Holz-, Getreide- und Mistfuhrwerke. Gütertransporte wurden vor Beginn des Eisenbahnzeitalters und der Autozeit mit Speditionsfuhrwerken bewerkstelligt. Die Post unterhielt in Augsburg große Stallungen für ihre Postkutschenpferde. Wohlhabende Bürger fuhren mit der Kutsche mehrspännig vor – nicht dass nur ein Pferd die Kutsche nicht hätte ziehen können, sondern der Show wegen. Man demonstrierte seine gesellschaftliche Stellung und seinen Reichtum mit edlen Rössern – so wie das heute mit vielpferdigen Autos geschieht.
Pferde statt Lokomotiven
Die Zahl der im Stadtgebiet gehaltenen Pferde geht im 19. Jahrhundert aus den Musterungen auf Militärdienst-Tauglichkeit hervor. Bei der am 14. Mai 1878 im Hallhof stattfindenden Inspektion wurden 1159 Rösser in Privat- und Firmenbesitz vorgeführt. Dazu kamen in Augsburg rund 1000 Militärpferde. Dass Pferde statt Lokomotiven auch vor Eisenbahnzüge gespannt wurden, mag heute wie eine Episode erscheinen.
Der erste Zug aus München lief in Augsburg am 4. Oktober 1840 mit Dampfkraft ein. Doch die Bahngesellschaft „beschäftigte“ auch Pferde: Anfangs wurden bei der ersten bayerischen Fernbahn zwischen Augsburg und München Dampfkraft und Pferdekraft nebeneinander genützt. Noch im Herbst 1842 zogen Pferde die Nachtzüge. Die Abfahrt erfolgte in beiden Städten jeweils um 19 Uhr. Nachts fuhren vornehmlich Güterzüge, in die Personenwagen eingegliedert waren. Die Nachttickets waren preiswert, dafür dauerte die Fahrt zwischen Augsburg und München mit Pferdekraft acht Stunden.
Als Augsburg 1881 eine Straßenbahn bekam, zogen Rösser die Wagen. Bis zu 99 „Tram-Gäule“ waren bei der Straßenbahngesellschaft „beschäftigt“. Die Pferdetram fuhr 17 Jahre lang. 1898 erfolgte die Elektrifizierung. Die Postkutsche stellte den Personen- und Posttransport noch weitere 30 Jahre sicher. Beim Paketzustelldienst in Augsburg rüstete die Post 1928 auf Elektro- und Dieselfahrzeuge um. Am Montag, 16. April 1928, erfolgte die letzte Ausfahrt der Pferdepost, zu der Kutscher und Zusteller Galauniform anlegten.
Bier für die Gaststätten
Bei den Augsburger Brauereien war es ähnlich: Im Nahbereich versorgten noch in den 1930er-Jahren von Pferden gezogene Wagen die Gaststätten mit Bier. Zur Eröffnung der Jakober Kirchweih und des Plärrers zogen Pferde mehrspännig mit Fässern beladene Wagen. Solche Gespanne sind noch beim Oktoberfest in München zu sehen.
Ein spezielles Gebiet des Speditionswesens war der Botenverkehr. Boten mit Pferdewagen verbanden Augsburg fahrplanmäßig mit vielen Orten. Bis in die 1930er-Jahre wurde dieser Verkehr mit Pferde-Planwagen abgewickelt. Das Augsburger Adressbuch für 1902 führt 88 Orte auf, aus denen ein- oder mehrmals pro Woche Boten nach Augsburg kamen und wieder dorthin zurückfuhren. 1933 nennt das „Verzeichnis der regelmäßig nach Augsburg kommenden auswärtigen Boten“ noch 30. Jeder Bote war zu festen Uhrzeiten in einer bestimmten Gaststätte anzutreffen. Dort erfolgte die Warenannahme und Abgabe von bestellten Gütern. 1933 fuhren etliche Boten bereits mit Lastkraftwagen.
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