
Abseits von Lärm und Hektik

Reizüberflutung - das Schlagwort bezeichnet ein Phänomen, unter dem heute fast jeder leidet: Musik-Gedudel beim Einkaufen, Fernsehen beim Hausaufgaben machen, Verkehrslärm beim Schlafen, das sind Überlagerungen, die auf Dauer nicht bekömmlich sind. Und so wie der Alltagsmensch nach Inseln der Ruhe sucht, so ist auch der Künstler den "silent spaces", den Räumen der Stille, auf der Spur.
Kurator Thomas Elsen hat für seine Sommer-Ausstellung im H2-Zentrum für Gegenwartskunst mehrere zeitgenössische Kunstwerke ausgesucht, die der Stille huldigen. Nicht alle sind jedoch beruhigend: Die Videokünstlerin Angelika Middendorf lässt in "Outer Space" eine Schwimmerin unablässig in einem Trainingsbecken Schmetterlingsstil üben. Das ist zwar still, weil unter Wasser, aber die filmische Endlosschleife erinnert doch verstörend an die Ausnutzbarkeit des Menschen, wenn er sich wie eine Maschine einsetzen lässt.
Beängstigende Stille breitet sich auch auf den Fotoarbeiten und Malereien von Nina Pettinato aus. Die junge Künstlerin, die kürzlich vom Bezirk Schwaben ausgezeichnet wurde, inszeniert auf ihren pointillistischen, blassfarbigen Bildern eine Stimmung wie nach dem atomaren Super-GAU - menschenleer, hoffnungslos, förmlich nach Gift riechend. Überaus eindrucksvoll!
Stille als Refugium, als Auszeit von der täglichen Hektik taucht eigentlich nur in den Fotoarbeiten von Christof Rehm auf, und da ist sie direkt aus der schnellen Bewegung geboren. Rehm knipste mit seinem Handy die Landschaft, die im Zug von Augsburg nach München an ihm vorbeiflog. Es entstanden romantische Landschaftsbilder voll subtiler Farbwerte - Caspar David Friedrich lässt grüßen.
Der Dichte von Ereignissen, der Übermenge von Reizen kann man sich meist nur entziehen, wenn man einen Schritt zurücktritt, auf Distanz geht. Den distanzierten, analytischen Blick findet man in den Fotografien von Brian McKee sowie Dan Dubowitz und Patric Duerden, die in klassischer Manier einerseits verlassene Paläste und Moscheen in Usbekistan, andererseits die Ruinen faschistischer Monumentalbauten in Italien abbildeten.
Mit der Wärmebildkamera unter der Oberfläche der Dinge
Auch diese Räume sind menschenleer; da steht höchstens der Engel der Geschichte drin. Stephan Reusse geht mit der Wärmebildkamera quasi unter die erkennbare Oberfläche der Dinge. Farbflächen und figurative Andeutungen machen Spuren des Entschwundenen sichtbar, sprechen also von Vergänglichkeit und von der sorgsamen Zuwendung zum Augenblick.
Dass sich aus dem Rückzug in die Ruhe auch neue Konfrontationen mit sich selbst ergeben, meint man vor einer Spiegelwand von Magdalena Jetelova zu erkennen, und auch in Bruno Wanks Kubus "Red/Green", wo einen ein Läufer quasi aus der Wand heraus anspringt und man mit diesem virtuellen Wesen plötzlich allein ist.
Man denkt hier auch daran, dass Stille Raum braucht. Wenn man an Rehms schöner Fotoserie vorbeigeht, wenn direkt in Middendorfs Videobild ein Entlüftungsrohr der H2-Halle einmündet, wenn Blickbeziehungen zwischen einem großen Naturtableau von Kotek und einer kargen Architekturplastik von Benjamin Appel entstehen, dann nimmt man die große alte Fabrikhalle ganz anders wahr - als ein Angebot, sich für eine Weile auszuklinken aus dem Alltag, sich zu konzentrieren und sich einzulassen auf die andere Weltsicht, die Kunst bieten kann.
Einen kleinen Raum aus Ziegelsteinen hat die Schweizerin Leta Peer (man kennt sie von ihrer Installation im Schaezlerpalais zu Umbauzeiten) mitten in die Halle gebaut. Es ist ein Gedächtnisraum - eine krude Baustelle voll Unordnung und Dreck, in der ihre idealisierten gemalten Berggipfel in prächtigen Goldrahmen wie ein märchenhaftes Spiegelbild aus einer vergangenen Welt wirken, eine Erinnerung an das, was war.
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