Der Meister des Lavierens
Literaturwissenschaft War Bertolt Brecht ein Revolutionär? Jürgen Hillesheim legt sich in seiner jüngsten Monografie fest: BB war niemals überzeugter Marxist
In der Geburtsstadt Brechts ist soeben wieder eine Diskussion um seine politische und künstlerische Rolle aufgeflammt. Geht Augsburgs hauptamtlicher Brechtforscher Jürgen Hillesheim mit dem Weltschriftsteller zu hart ins Gericht, wenn er ihn einen „Drückeberger“ nennt? Und stimmt es, wenn Hillesheim diesen Brecht, der vor Jahrzehnten vielerorts im Westen noch als Kommunist geschmäht worden war, jetzt als einen Kritiker alles Revolutionären zeichnet, einen Schriftsteller, der zeitlebens laviert habe? Wo bleibt da bitte schön, so die Gegenseite, der revolutionäre Brecht, die Ikone, um die herum sich linke Intellektuelle scharen können? Und: Hillesheim benutze bei seiner Einschätzung als „Drückeberger“ das Vokabular der Reaktionären.
Hillesheim führt in seiner großen Monografie aus, wie prägend für Brecht und sein künstlerisches Schaffen die Erfahrung der Räterevolution 1918/19 war. Auf gut 300 Seiten wird schnell deutlich, dass Brecht in diesen bewegten und blutigen Augsburger Frühjahrstagen nicht im Sinn hatte, für eine vermeintlich bessere Welt zur Waffe zu greifen und aktiv zu kämpfen. Brecht hatte zwar Kontakt zu Revolutionären, half ihnen zum Teil auch, hielt sich aber ansonsten laut Hillesheim im Hintergrund und nahm in Briefen an seine frühe Liebe Paula „Bi“ Banholzer eine ironische Distanz zu den Ereignissen ein.
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Die Diskussion ist geschlossen.
Ja, Brecht ein "Meister des Lavierens". Des Lavierens zwischen den Parteien.
Niemals überzeugter Marxist.
Shen Te etwa - "Der gute Mensch von Sezuan" - bekommt recht bald gesagt,
was passieren wird, wenn sie einen nach dem anderen in ihren Tabakladen aufnimmt
und verköstigt: "Wenn du deinen Laden behalten willst, mußt du die eine oder andere
Bitte abschlagen können." Und dann, etwas deftiger: "Wirf ein Stück Fleisch in eine
Kehrichttonne, und alle Schlachterhunde beißen sich in deinem Hof."
Im gegenwärtigen Merkel-Deutschland würde Shen Te, die schließlich zur Vernunft kommt
und in Gestalt des angeblichen Vetters Shui Ta auftritt, als "Rechtspopulist" oder "Rassist"
beschimpft und ihre Äußerungen "menschenverachtend" genannt werden: "Ihr seid Diebe
und Schmarotzer. Wenn ihr schnell geht, ohne Zeit mit Widerrede zu vergeuden, könnt ihr
euch noch retten."
In Brechts "Lied vom Klassenfeind" wird zwar nicht verschwiegen, wer der Feind ist:
"Fabrikant, General und Junker / Unser Feind, das bist du!" Und selbstverständlich ist auch
(sechste Strophe) der "Pfaffe" dabei. Sonst jedoch stehen an deren Stelle Pronomen. Etwa:
"Eines Tages sah ich sie marschieren ..." Oder: "Und manchen von uns sah ich / Der ging ihnen
auf den Strich / Und geschah ihm, was dir und was mir geschah / Dann wunderte er sich."
Brecht dürfte gewußt haben, daß dieses "... manchen von uns sah ich / der ging ihnen auf
den Strich" nicht nur im Hinblick auf den marxistischen Klassenkampf der Fall ist.