
Stück für Stück eine große Geschichte

Vor zehn Jahren wurde die Dauerausstellung im Jüdischen Museum neu konzipiert. Jetzt zeigten Freunde des Museums, warum ihnen die Ausstellung so wichtig ist
Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth interessiert sich für die jüdischen Speiseregeln, die für sie zum „kulturellen Reichtum unserer Heimat“ gehören. Bezirksheimatpfleger Peter Fassl betrachtet die Mesusa, die Kapsel mit dem Bekenntnis „Höre Israel …“, die an der Tür des jüdischen Hauses angebracht ist und dessen Bewohner ständig an Gottes Bund erinnern soll. Kulturreferent Thomas Weitzel steht vor dem Seld-Stadtplan und zeigt, wo im mittelalterlichen Augsburg die Judengasse war (nämlich anstelle der heutigen Karlstraße). Staatssekretär Johannes Hintersberger hat Architekturzeichnungen studiert und erinnert damit an die einst „stolze Kultusgemeinde“, die die Synagoge erbauen ließ. Pädagogik-Professorin Eva Matthes erläutert vor Fotos der „Bat Mizwa“ (das ist quasi die Konfirmation jüdischer Mädchen), wie es im Judentum um Bildung bestellt ist. Landtagsabgeordnete Christine Kamm macht mit dem Abschiedsbrief von Emanuel Herz auf die Verfolgung der Juden in der NS-Zeit aufmerksam und zieht Parallelen zur Lage heutiger Flüchtlinge.
Fast zwei Dutzend Freunde und Unterstützer des Jüdischen Kulturmuseums Augsburg-Schwaben stellten am vergangenen Sonntag ein Objekt aus der Dauerausstellung vor, das sie besonders beeindruckt oder interessiert. Die jüdische Tradition mit ihren Gebräuchen und Sitten, die religiösen Regeln, der kulturelle Beitrag, den die jüdische Minderheit auch zum Wohl der Mehrheit geleistet hat, aber auch der jahrhundertealte Anti-Judaismus, die grausame Verfolgung im 20. Jahrhundert unter den Nationalsozialisten und der mutige Neuanfang der Überlebenden nach 1945, das ist eine große, wechselvolle Geschichte, die einen ganzen Tag lang Stück für Stück vorgestellt wurde. Zahlreiche Besucher wollten diesen persönlichen Zugang zu der musealen Ausstellung kennenlernen; der Führungszyklus war schon Tage vor dem Ereignis ausgebucht.
Anlass dieser besonderen Museumsführung war ein Jubiläum: Vor zehn Jahren, also im Jahr 2006, konnte Museumsleiterin Benigna Schönhagen die von ihr neu konzipierte Dauerausstellung eröffnen. Nach ihrer Vorstellung sollte das Museum nicht länger nur die religiöse Praxis zeigen, wie das durch die vorhandene Sammlung wertvoller Kultgegenstände bis dahin der Fall war. Jüdische Lebenswirklichkeit und Kultur wollte Schönhagen zeigen, dabei aber nicht die Verfolgungsgeschichte in den Mittelpunkt stellen, sondern den großen kulturellen Beitrag, den die jüdische Minderheit erbracht hat. Das entsprach Anfang der 2000er Jahre dem Stand der Diskussion, wurde auch im Austausch mit anderen Museen, etwa in Fürth oder München, sowie dem wissenschaftlichen Beirat in Augsburg abgesichert. Das bedeutete auch, Objekte zu sammeln, die die vielfältige Geschichte und Kultur exemplarisch darstellen können – Briefe, Fotos, Alltagsgegenstände aus verschiedenen Epochen.
Ein mittelalterliches Stadtbuch mit Regeln für das Baden, die Geldleihe und vieles mehr kam vom Staats- und Stadtarchiv; Fragmente eines jüdischen Grabsteins lieferte die Stadtarchäologie; einen Hochzeitsring und ein Rabbinerbarett stellte das Bayerische Nationalmuseum zur Verfügung. Doch die Familiengeschichten, in denen klar wird, wie sich die schwäbischen Juden im 19. Jahrhundert durch ihre Leistung in die Stadt integrierten, und wie sie danach in der NS-Zeit dennoch verfolgt und ausgestoßen wurden, diese Familiengeschichten mussten Schönhagen und ihre Mitarbeiter selber sammeln.
Viele Informationen stellte der Journalist Gernot Römer zur Verfügung, der als einer der Ersten in Schwaben Zeugnisse verfolgter Juden gesammelt hatte; viele andere kamen durch die biografische Reihe „Lebenslinien“ mit Familiengeschichten von jüdischen Emigranten und durch Ausstellungen zusammen, etwa über den Neuanfang der Gemeinde nach 1945 oder über die aus der ehemaligen Sowjetunion eingewanderten Mitglieder der jetzigen jüdischen Gemeinde. Im Museum kann man die Lebensgeschichten an Hör- und Medienstationen nachverfolgen, auch mit Fotos und persönlichen Objekten. Die Sammlung sei nur durch engen Kontakt zu den ehemaligen und jetzigen Mitgliedern der Augsburger jüdischen Gemeinde möglich gewesen, sagt Benigna Schönhagen.
Dass heute in Augsburg wieder eine lebendige jüdische Gemeinde besteht, das nannte Helmut Hartmann, Vorsitzender des Stiftungsrats des Museums, eine große Freude. Die Gemeinde konnte man an diesem besonderen Sonntag als Besucher auch kennenlernen – viele Gemeindemitglieder waren aktiv, bewirteten die Gäste, sorgten für reibungslosen Ablauf und spielten Musik wie die Klezmergruppe „Feygele“. Als Geschenk von außen hatten Wolfgang Lackerschmid und Stefanie Schlesinger noch jazzige Musik zu diesem Feier-Tag mitgebracht.
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