Die Passanten schauen an diesem Nachmittag etwas erstaunt ins Schaufenster von Juwelier Eidel in der Karolinenstraße. Denn dort sitzt Senior-Chef Wolfgang Eidel an einem bunt bemalten Klavier und spielt. Die Klänge dringen durch die Schaufensterscheiben bis nach draußen. Umgeben ist Eidel von weiteren hochwertigen Musikinstrumenten, um die herum das drapiert wird, was hier eigentlich verkauft wird: Schmuck. „Hier spielt die Musik“ lautet das Motto. Das Familienunternehmen will mit seinem musizierenden Schaufenster bei Kunden Aufmerksamkeit erzeugen und Emotionen wecken. Auch andere Händler greifen längst zu besonderen „Tricks“, um potenzielle Käufer anzusprechen.
Wolfgang Eidel hat bereits musikalische Kunden dafür gewinnen können, sich demnächst selbst ans Klavier zu setzen und den Augsburgerinnen und Augsburgern ein besonderes Erlebnis zu bieten. Zwischendurch wird über einen Lautsprecher Musik aus der Konserve nach außen übertragen. „Wir haben bisher viel Zuspruch erhalten und auch Kunden in den Laden locken können“, erzählt er. Immer mehr Händler versuchen inzwischen, mit außergewöhnlichen Aktionen auf Frequenzverluste und Kaufzurückhaltung zu reagieren und die Lust am Einkaufen in der Innenstadt neu zu wecken.
Augsburger Handel setzt immer mehr auf Erlebnis statt reinen Einkauf
Zuletzt hatte das Luxus-Kaufhaus Emerson Renaldi zu einer Tee-Verkostung geladen. Ausgeschenkt wurde Matcha. Der liegt gerade im Trend. Die Idee: Menschen kommen zusammen, genießen den gemeinsamen Aufenthalt in der Stadt und lernen dabei das Modehaus kennen. Ende April lädt der Modepark Röther zu Kindertagen ein. Angekündigt werden verschiedene Aktionen wie Tischtennis, ein Gewinnspiel und Rabatte. „Wir sind überzeugt, dass Shopping mehr sein sollte als nur ein Einkauf“, heißt es aus der Firmenzentrale.
Der reine Verkauf von Waren scheint nicht mehr zu genügen, um Kunden anzuziehen. Es braucht Unterhaltung. „Erlebnisökonomie“ lautet das Stichwort. „Früher lief der Wettbewerb über das Produkt und den Preis. Als das allein nicht mehr ausreichte, kam der Service dazu. Heute braucht es noch eine weitere Dimension, das Erlebnis“, ordnet der Augsburger Marketing-Professor Michael Paul von der Universität Augsburg ein. Für ihn ist daher klar, dass der Handel über besondere Aktionen versucht, sich bei den Kunden ins Bewusstsein zu bringen. „Wenn man schaut, welche Möglichkeiten man zur Konkurrenz aus dem Netz hat, dann ist das Erlebnis fast das Einzige, was Online in dieser Form nicht gleich gut kann“, so Paul. Bei den Punkten Sortimentsbreite und Preis könne der stationäre Handel womöglich mithalten, sich aber keinen Vorteil verschaffen. Das Gleiche gelte für die Zugänglichkeit. Mit Öffnungszeiten an sieben Tagen rund um die Uhr und einer bequemen Suche vom Sofa aus tue sich der stationäre Handel ebenfalls schwer. Selbst bei der Beratung würden Onlinehändler aufholen. „Dass stationäre Händler also versuchen, mit Erlebnissen zu punkten, ist absolut sinnvoll.“
City-Galerie-Manager: Menschen müssen die Lust am Einkaufen neu entdecken
Das Paradebeispiel für Erlebnis-Shopping in Augsburg dürfte die City-Galerie sein. Das ganze Jahr über setzt das Center von der Faschingsparty über Aktionen rund um Ostern bis hin zur polizeilichen Beratung zur Cyberkriminalität verschiedene Akzente. Einkaufsstraßen würden vom Angebot vergleichbarer und manche Lagen durch Leerstände unattraktiv. Es brauche daher die Händler, die durch besondere Aktionen Straßenlagen belebten. „Es geht nicht mehr nur darum, die Menschen vom Online-Shopping abzuhalten, sondern sie müssen wieder Lust am Einkaufen bekommen, sich wohlfühlen und Spaß dabei haben, Geld auszugeben“, so Center-Manager Axel Haug. Auch Eidels setzen mit ihrem musizierenden Schaufenster auf einen solchen Effekt. Die Leerstände in der Karolinenstraße hätten zuletzt keine großen Anreize gesetzt, diesen Teil der Stadt zu besuchen. Man müsse gegenhalten.

Für Marketing-Experte Paul ist aber noch etwas anderes unerlässlich: „Natürlich muss das Sortiment passen, der Preis und der Wohlfühlfaktor in einem Geschäft für den Kunden stimmen. Ohne diese Basis helfen auch alle Aktionen nichts.“ Dazu brauche es Durchhaltevermögen. Eine Verkostungsaktion im Jahr beschere nicht zwingend sofort mehr Kunden. Man müsse sich erst ins Gedächtnis bringen und dort halten.
Dass sich neben Geschäftsinhabern auch die Stadt um Aktionen bemüht, wertet er daher als positiv. Ebenso wie die neu gewonnenen Möglichkeiten für Händler, ihr Sortiment zu bestimmten Anlässen wie den Lightnights auch im Freien präsentieren und verkaufen zu können, etwa vor dem Ladengeschäft. Dies soll in einer einjährigen Pilotphase an maximal drei Tagen möglich sein. „Alles, was hier im Rahmen nötiger Regelungen mehr zulässt, ist für den Handel ein Gewinn“, so Paul.
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