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Gegen die Sprachlosigkeit: Seit 50 Jahren gibt es in Augsburg Hilfe per Telefon

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Gegen die Sprachlosigkeit: Mit diesen Sorgen melden sich die Menschen bei der Telefonseelsorge

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    Wenn die Verzweiflung groß ist, kann ein Anruf helfen: Seit 50 Jahren gibt es in Augsburg die Telefonseelsorge.
    Wenn die Verzweiflung groß ist, kann ein Anruf helfen: Seit 50 Jahren gibt es in Augsburg die Telefonseelsorge. Foto: Britta Pedersen, dpa (Symbolbild)

    Angelika H. berichtet von ihrem Dienst am vergangenen Weihnachtsfest. Da hatte sie Menschen am Telefon, die sich sträubten, auf ein Familienfest zu gehen, oder andere, die traurig waren, weil sie erst gar nicht eingeladen waren. Dann hatte sich eine obdachlose Person bei ihr gemeldet, die von der Stadtweihnacht kam. „Nach der Weihnachtsfeier ging es für sie wieder zurück in ihr Alltagselend in einer Obdachlosenunterkunft. Die Person war sehr traurig. Manchmal würde ich bei solchen Gesprächen am liebsten durch die Leitung kriechen und die Menschen in den Arm nehmen.“ Angelika H. arbeitet ehrenamtlich bei der Telefonseelsorge in Augsburg. Das Hilfsangebot gibt es hier inzwischen seit 50 Jahren - und es wird noch immer dringend gebraucht.

    Am 7. April 1975 ging es um 8 Uhr morgens in Augsburg los. Seither wurden von den Ehrenamtlichen über 400.000 Gespräche geführt. Es gibt vielfältige Gründe, warum die Hilfe in Anspruch genommen wird. Sie haben sich allerdings in den 50 Jahren kaum verändert, berichtet die Leiterin Hildegard Steuer. Einsamkeit, Krankheit, Probleme in Familie und Beziehung, Depressionen und auch Suizidgedanken gehören dazu. Rund um die Uhr ist unter den gebührenfreien Telefonnummern 0800-1110111 und 0800-1110222 sowie die 116123 (ohne Vorwahl) jemand erreichbar. Wer aus Augsburg anruft, wird an die Augsburger Stelle geleitet. Ist dort belegt, wird der Anruf an eine andere naheliegende Stelle weiterverbunden.

    Hildegard Steuer, Leiterin der Augsburger Telefonseelsorge (links) unterstützt die ehrenamtlichen Mitarbeiter, wie Angelika H. (rechts).
    Hildegard Steuer, Leiterin der Augsburger Telefonseelsorge (links) unterstützt die ehrenamtlichen Mitarbeiter, wie Angelika H. (rechts). Foto: Klaus Rainer Krieger

    Mancher Anrufer fragt deshalb als erstes, wo er denn gelandet sei. Das tue zwar nichts zur Sache. „Aber es ist ein Gesprächseinstieg. Manchmal weiß der Anrufer nicht, was er am Anfang sagen soll“, weiß Angelika H., die seit 2018 die Augsburger Telefonseelsorge unterstützt. Die Menschen am anderen Ende der Leitung hätten schon ihre Gründe, warum sie die Nummer wählten. Jedes Mal, wenn das Telefon klingele, werden die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einer anderen Problemlage konfrontiert.

    Mal ist es eine Frau, die von der Pflege ihrer Mutter berichtet, die ihr viel Kraft abverlangt. Frauen und Männer berichten von Problemen, einen Partner zu finden, eine Beziehung aufzubauen oder zu halten, so Angelika H. Andere haben Schlafstörungen, eine psychische Krankheit oder leiden unter Multipler Sklerose oder Krebs und wollen darüber sprechen. „Oft wollen sie ihre Ängste nicht ihren Angehörigen zumuten. Andere haben niemandem, dem sie davon erzählen können“, betont Hildegard Steuer.

    Seit 1975 haben 450 ehrenamtliche Mitarbeiter die Augsburger Telefonseelsorge unterstützt

    Damit es aber immer einen Ansprechpartner in Krisensituationen gibt, wurde die Telefonseelsorge gegründet. Rund 100 Stellen gibt es in Deutschland. 1956 wurde das erste Hilfe-Telefon in Berlin freigeschaltet. In Augsburg wurden die Planungen 1973 aufgenommen. 1974 startete die Ausbildung der ehrenamtlichen Helfer. „Das war sehr ambitioniert. Es wurden gleich 100 Personen auf einmal ausgebildet“, sagt die Leiterin der Telefonseelsorge. Durch die Vielzahl der Helfer konnte die Hilfe am Telefon sofort rund um die Uhr angeboten werden. In all den Jahren haben die Augsburger Telefonseelsorge rund 450 Personen ehrenamtlich unterstützt.

    Derzeit sind es 84 Ehrenamtliche, deren Einsatz sehr flexibel sei. Zwei bis drei Mal im Monat komme man an die Reihe, berichtet Hildegard Steuer. Die meisten wählten eine vierstündige Schicht. „Mit sechs bis acht intensiven Gesprächen in so einer Schicht muss man schon rechnen“, sagt Angelika H. Zuhören sei das oberste Gebot. Eine konkrete Lösung des Problems könne in den 20 bis 30 Minuten, die die Gespräche durchschnittlich dauerten, gar nicht erarbeiten werden. „Oft greift man sich ein Teilaspekt heraus und versucht eine Anregung zu geben, oder Ideen zu entwickeln.“ Das würde vielen Anrufern genügen. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter ermunterten auch dazu, dass die Anrufer sich wieder melden könnten, was viele tun.

    Der Großteil der Anrufer bei der Telefonseelsorge sind Frauen

    Seit mehreren Jahren gibt es neben dem Gesprächsangebot am Telefon auch die Kontaktmöglichkeit per E-Mail oder Chat. Die ökumenische Telefonseelsorge Augsburg wird von der katholischen Diözese und dem evangelischen Stadtdekanat getragen, die auch den Großteil der Kosten übernehmen. Dazu kommen Zuschüsse vom Bezirk Schwaben, Stadt Augsburg und den Landkreisen Augsburg und Aichach-Friedberg. Laut Statistik der Telefonseelsorge sind die meisten Anrufer alleinstehend und im Alter zwischen 50 und 70 Jahren, wobei auch nicht wenige junge Erwachsene das Angebot wahrnähmen. Vor allem Frauen nehmen das Angebot in Anspruch. Damit die ehrenamtlichen Mitarbeiter mit ihrem Engagement dauerhaft umgehen können, werden sie begleitet. „Es gibt Supervisionsgruppen, die sich einmal monatlich treffen. Dabei gibt es auch Fortbildungen. Der Austausch ist wichtig“, sagt Hildegard Steuer.

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