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Staatstheater Augsburg bietet jetzt die erste Inszenierung für Zuhause

Plus Auf einer Virtual-Reality-Brille liefert das Staatstheater Augsburg seine "Judas"-Inszenierung nach Hause: ein Theatererlebnis der anderen Art.

Diese Inszenierung ist anders. Das Staatstheater Augsburg kommt jetzt nach Hause. Also noch schnell eine Krawatte gebunden, ein Sakko angezogen, damit es sich auch im eigenen Wohnzimmer wie ein Theaterstück und nicht wie Heimkino anfühlt. Passend zu Ostern liefert das Theater seine Judas-Inszenierung als 3-D-Film aus.
Ja, richtig gelesen, das Staatstheater liefert aus und zwar in Form einer speziellen Virtual-Reality-Brille. Wenn ein Termin mit dem Besucherservice des Staatstheaters vereinbart ist, bringt einem ein Mitarbeiter ein Paket nach Hause, es bleiben einem dann gut zwei Stunden, um die 70 Minuten lange Inszenierung anzusehen. Unterbrechungen sind beim Schauen möglich, zurückspulen nicht.
Für alle, die überhaupt kein Händchen für Technik haben: Ein DVD-Spieler bietet im Vergleich zu dieser Brille hundert Mal mehr Fallstricke in der Bedienung. Einfacher ist diese komplexe Technik nicht zu bedienen. Den eigenen Kopfhörer anstecken, die Brille überziehen (auch für Brillenträger geeignet) und am besten auf einem drehbaren Stuhl Platz nehmen und auf genügend Beinfreiheit achten. Und schon startet das Ganze wie von Geisterhand.
Die Bühne des Staatstheaters Augsburg ist jetzt überall
Danach sind die gängigen Gesetze von Bühne und Zuschauerraum außer Kraft gesetzt. Die Bühne ist jetzt überall, je nachdem, wohin man blickt. Und man muss sich auch kräftig um die eigene Achse drehen, um immer auf der Höhe des Spielgeschehens zu bleiben, das sich da genau um einen herum entfaltet. Schon allein für diesen 3-D-Effekt, in dem die Goldschmiedekapelle da zu erkunden ist, lohnt sich das neue Angebot des Staatstheaters.

Dies ist nun bereits der dritte Ort, für den das Staatstheater Augsburg seine Judas-Inszenierung eingerichtet hat. Zuvor war sie auf der Open-Air-Bühne der Moritzkirche, danach bei der Wiederaufnahme im Moritzsaal, im Februar vier Mal in der Goldschmiedekapelle noch vor Publikum zu sehen. Nun sitzt man als Zuschauer mitten auf der Bühne, so nah wie in manchen Einstellungen ist einem der Schauspieler Roman Pertl als Judas Iskariot noch nicht gekommen.
Schon saugt einen diese Inszenierung förmlich ein. Dass im Wohnzimmer noch gar nicht dunkel ist, ist schnell vergessen. Denn: Die Brille schafft eine fast schon vollkommene Illusion. Die eigenen vier Wände sind sehr weit entfernt.
Dieser Judas rückt einem so nahe wie noch nie
Dafür rückt einem dieser Judas nah, dem der Dramatiker Lot Vekemans diesen raffinierten Monolog gewidmet hat. Seinen Namen kennt jeder. Sein Ruf ist seit zwei Jahrtausenden vollständig ruiniert, niemand würde seinem Kind diesen Namen geben. Dann fragt dieser Judas, ob irgendwer mit ihm tauschen möchte, ob irgendwer anders diese Verräter-Aufgabe übernehmen möchte. Er habe das nicht gewollt, er wollte Jesus nie ans Messer liefern. Er wollte, dass Jesus flieht und gegen die Römer kämpft.
Judas wird einem nicht als ferne Historiengestalt präsentiert, sondern als ein Mensch aus dem Hier und Jetzt. So spielt ihn Pertl auch. Ohne Allüren, ohne aufgesetzte Affekte, natürlich und frei. Da spricht einer, als ob er seine Geschichte gerade in einem Café erzählt, wird dabei immer ehrlicher, präsentiert auch immer Fragwürdigeres.
Müsste die christliche Geschichte ohne Judas umgeschrieben werden?
Stück für Stück öffnet dieser Monolog einem die Augen dafür, dass Judas auch als das erste Opfer der Prophezeiung gewertet werden kann. Einer musste ja Verräter werden. Denn was wäre passiert, wenn es keiner gemacht hätte? Müsste die ganze christliche Geschichte ohne den Kreuzestod nicht umgeschrieben werden? Hätte es sie nie gegeben? Mit diesen Fragen im Hinterkopf sieht man Judas dann verschwinden, er verlässt die Goldschmiedekapelle, der Abspann setzt ein.
Kurze Zeit später klingelt es zu Hause wieder, eine Mitarbeiterin des Staatstheaters Augsburg fragt beim Abholen noch, ob alles funktioniert hat, wünscht frohe Ostern und entschwindet in die Dämmerung. Applaus, auch wenn der an dieser Stelle ebenfalls nur virtuell ausfällt.
Angekündigt sind vom Staatstheater Augsburg weitere Inszenierungen für die VR-Brille: „Das Tagebuch eines Wahnsinnigen“ von Gogol, unter dem Titel „Shifting Perspective“ ein Ballettabend, den Monolog „Event“ und die das Zwei-Personen-Stück „Oleanna – ein Machtspiel“, das das Staatstheater in der Universität Augsburg inszeniert hat.
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