Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten
Feuilleton regional
Icon Pfeil nach unten

Theater-Inszenierung: In der Augsburger "Minna von Barnhelm" schmeißen Frauen den Laden

Theater-Inszenierung

In der Augsburger "Minna von Barnhelm" schmeißen Frauen den Laden

    • |
    Judith Bohle (links) als Minna von Barnhelm und Lea Sophie Salfeld als ihr Mädchen Franziska.
    Judith Bohle (links) als Minna von Barnhelm und Lea Sophie Salfeld als ihr Mädchen Franziska. Foto: Nik Schölzel

    Die ohne Geld sieht man nicht. Also tappt Major von Tellheim durchs Bühnendunkel, strumpfsocket nur und eingehüllt in eine Feldbettdecke. Fast würde diese Nachkriegselendsgestalt noch ein Blindenstock kleiden, so antik-tragisch ist ihr menschliches Ausrufezeichen. Geht es ums Geld, und in deutschen Lustspielen geht es ja oft ums Geld, liegen bei Tellheim die Nerven blank.

    Nicholas Reinke gibt dann den argen Wüterich – wie er andererseits ob verlorener Stelle und Ehre versinkt in wenigstens mittelgradige Depression. Hätte er eine vorgesetzte Führung noch, sie würde dem aristokratischen Offizier die Order erteilen: „Contenance!“

    Minna von Barnhelm muss doppelte Arbeit leisten

    Aber sein Oberst ist nicht da, und so muss Minna von Barnhelm doppelte Arbeit leisten. Nie sah man Judith Bohle so gelöst, so schwärmerisch, so verträumt, so verliebt am Theater Augsburg wie in diesem Lessing – wie sie andererseits, das schätzen wir bereits, auch energisch auftritt und zu keinem Kompromiss bereit. Sie treibt es weit mit dem tobenden, sardonisch lachenden Tellheim, sie muss es weit treiben, um ihn in seinem Wahn zu kurieren, aber immer ist im Zuschauerraum zu spüren: Viel lieber würde sie ihrem Verlobten den Kopf mit Zärtlichkeit waschen als mit Entzugsstrenge. Geht halt nicht.

    Mit noch mehr Wassern gewaschen ist Franziska. Das Gör wird es in seiner Ehe zur Herrin bringen, da sie sich schon als Kammerjungfer deutlich mehr erlaubt als statthaft ist. Gereiztheit, inquisitorische Fragen, Vorwürfe, gar Befehle gehören zu ihrem Taktik-Repertoire. Lea Sophie Salfelds Rolle wird deutlich aufgewertet – eine Vorgängerin von Mozarts Blondchen. Sie schmeißt den anderen Teil des Ladens.

    Der Wachtmeister leuchtet die Personen grell aus

    Wenn das Frauenzimmer, mehr eine Gesellschafterin der Minna als deren Zofe, auf die Szene kommt, dann müssen sich auch in Hut nehmen: der närrisch-verbohrte Tellheim-Diener Just (Anton Koelbl), der popanz- und hofschranzenhafte Wirt, der sich windend stets um Kopf und Sympathie redet (noch eine Figurenaufwertung, hier für Martin Herrmann) und natürlich, als Zukünftiger der Franziska: Wachtmeister Paul Werner (Alexander Darkow).

    Er leuchtet gerne die Personen grell aus, mit denen er verhandelt. Wer aber u. a. keinen Kabinettstück-Auftritt erhält in dieser destillierten Spielfassung von zwei Stündchen – und dies hoffentlich nicht aus Gründen der Political Correctness –, das ist der Franzos’ Riccaut, dieser aalglatte Glücksfalschspieler. Andererseits kriegt das Publikum – als Suchspiel – eine stilistisch saubere, inhaltlich schmutzige Pointe untergejubelt, die nicht aus dem Gänsekiel Lessings stammt.

    Alles ist Sprache, Gestik, Mimik

    Mitunter fallen Anne Lenk als Regisseurin des Abends Albernheiten und französische Affekte bei. Dann kriegt dieser Lessing in Rokoko-Kostüm (Silja Landsberg) eine Schlagseite hin zu Posse und Farce. Deshalb ist die Produktion keine große. Aber sie ist immerhin eine gute. Weil sie ohne Requisite auf leerer Drehbühne allein durch ihre Menschen- und Typendarstellung mitnimmt. Alles ist Sprache, Gestik, Mimik.

    Weil sie Lessing so respektvoll wie respektlos neu auf den Prüfstand stellt und seinem Lustspiel-Bau ohne Verhohnepipelung, aber mit frischen Schrägheiten antwortet. Weil sie staunenswert fantasievoll ist in der Vergrößerung des Interagierens durch Schattenspiel. Es illustriert Vor- und Seitengeschichten; es liefert auf reflektierender zweiter Ebene Metaphern und Kommentare (Bühne: Marc Bausback). Und siehe: Das zeitgenössische Theater kommt auch mal ohne Video-Botschaft aus. Toll.

    Wieder am 23. Februar; 1., 8. März

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden