Ich denke, viele ältere Menschen bemerken diese gesellschaftlichen Veränderungen, die unsicher und zunehmend aggressiv machen. Das Zeitrad dreht sich zu schnell und mir kommt es so vor, dass derzeit viel Vernunft und Menschlichkeit auf der Strecke bleiben. Ein „schlagendes“ Beispiel: die Entwicklung an den Schulen.
Blicken wir zurück in die 1950er und 60er Jahre. Ich besuchte die Volksschule in Steppach, habe da das V8 gemacht und das kleine und große Einmaleins gelernt. Oberlehrer und Hauptlehrer schwangen mit Begeisterung den Tatzenstock und „Hosenspanner“ gab es jeden Tag. Der Hauptlehrer war wie der Dorfpfarrer eine gottähnliche Person und wurde von den Dorfeingeborenen auch so angesehen. Zu den zeitintensivsten Lernfächern gehörte das Marschieren auf dem Pausenhof und auf Schulausflügen. Dabei mussten wir Lieder singen aus der unheilvollen deutschen Vergangenheit. Viele kann ich heute noch auswendig.
Wenn der Lehrer dem Schulkind eine Ohrfeige gab und sich das Kind zu Hause bei den Eltern beschwerte, gab es vom Vater gleich nochmals eine.
Diese Zeiten, in denen Lehrer gottähnliche Autoritäten waren, sind – auch „68“ sei Dank – vorbei. Das Pendel schlägt in die andere Richtung aus. Klassenzimmer sind zu einem Kampffeld geworden, auf dem die Eltern tüchtig mitmischen. Sie reagieren darauf, wenn sie ihre Sprösslinge von uneinsichtigen Lehrkräften benachteiligt wähnen. Im Wochenendjournal unserer Zeitung erschien unlängst ein hervorragender Artikel über die Veränderung an den Schulen und das neue Schüler-Lehrer-Verhältnis.
Ich frage mich, ob die Aggression nicht mehr von den Eltern als den Schülern ausgeht. Warum gehen so viele Helikopter-Eltern die Lehrer so vehement an? Liegt das vielleicht am Unterschied zu früheren Zeiten, in denen Kinder „einfach so“ (es gab ja so gut wie keine Verhütungsmittel) auf die Welt kamen? Sie waren häufig nicht gut behütet und mussten sich oft auf sich selbst verlassen, siehe Schlüsselkinder. Das Wort „Familienplanung“ gab es damals noch nicht in dem heutigen Sinn. Heute sind Kinder oftmals ein Resultat der Selbstverwirklichung der Eltern. Ich kenne Eltern, die ihre Kinder in teure Designerklamotten stecken, auch um der „Welt“ zu zeigen, „schaut, wir haben es geschafft“. Kinder als Image- und Prestigeobjekte.
Und dann ist es doch klar, dass die Eltern mit allen Mitteln reagieren und zum Rechtsanwalt gehen, wenn die Kinder schlechte Noten nach Hause bringen. Aber wie werden diese Kinder mit Frustrationen umgehen, wenn sie nicht mehr von den Eltern beschützt werden?
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An dieser Stelle blickt der Kabarettist Silvano Tuiach für uns auf das Geschehen in Augsburg und der Welt.