Wann jemals waren in einer Ausstellung so viele Hinweise auf ein Nicht-Berühren-Dürfen zu lesen wie in der jetzt laufenden des Kunstforums Oberschönenfeld? Immer wieder stößt man auf diese dringliche Mahnung, die in einem Museum ja eigentlich überflüssig sein müsste. Aber in diesem speziellen Fall wissen die Verantwortlichen – insbesondere die Kuratorin Gudrun Szczepanek – um den verlockenden Reiz, berühren und tasten zu wollen. Sind die versammelten Arbeiten doch mitunter so zart bis hauchfein, so leicht bis fragil, so bezaubernd bis betörend, dass ein Wunsch nach Berührung intuitiv aufkommt. Wertvolles wie Schützenswertes haben das so an sich. Aber: Geht halt nicht!
Woher kommt das Hauchfeine, Fragile, Betörende? Aus Papier. In einer Zeit, da der getrost nach Hause tragbare Zellstoff sogar bei Wahlen und im Notariat zugunsten des Digitalen zurückgedrängt wird – und dies mit noch nicht ganz absehbaren Folgen –, erlaubt sich das Kunstforum Oberschönenfeld eine Hommage und Eloge an den uralten Werkstoff. „Vielfalt Papier“ heißt anspielungsreich eine entzückend federleichte Ausstellung, die sieben Papier-Künstlerinnen vollkommen ohne Quotenmann versammelt. Sie bewegen sich auf den Terrains Design, Kunsthandwerk und Kunst.
Hier sieht man zersägte Bücher
Am stärksten Design ist das, was Maria Verburg (* 1945 Bielfeld) gestaltet, einfach weil ihre Objekte bekennend auch einen Gebrauchswert besitzen: Handtaschen (für Damen), Schalen, Dosen. Allem darf man stilvolle Extravaganz aus Pappe bescheinigen, auch der „Porzellanschale“. Mit ihr verweist das Kunstforum quasi auf die Konkurrenzausstellung „Alles Fake? Täuschend echt oder echt getäuscht“ im Museum gleich nebenan. Vergleichbares gilt für Helene Tschacher (*1955 Höchstädt), die als gelernte Buchbinderin (und spätere Präsidentin der International Association of Hand Papermakers and Paper Artists) Bücher sauber zersägt, um dann die „Buch-ab-schnitte“ zu drapieren: gebogen, aufgefächert, in serieller Folge. Und plötzlich schaut ein Objektkasten – überaus reizvoll – wie eine Sammlung von Muscheln oder Schneckenhäusern aus – oder wie sich aneinander schmiegende Miniaturskulpturen von Joannis Avramidis. Da sind wir beim Kunsthandwerk angelangt in dieser die Grenzen zwischen Kunst, Kunsthandwerk und Kunst demonstrativ verschleifenden Schau.
Maja Vogl (*1956 Kempten), einst Schülerin des Malers Rudi Tröger in München, webt zwar Schals aus Abaka-Papier, also aus Papier von Fasern der Bananenstaude. Doch diese sind in ihrem seidigen Schimmern, in ihrem Changieren eher zarte Wandbehänge, Wandbilder, als wärmendes Damen-Accessoire. So wie die „Baumschalen“ von Andrea Viebach (*1963 München) eher Rundpanoramen darstellen zum Betrachten – als Gefäße. Sie kleidet die weißen Schalen innen mit (Foto-)Drucken von belaubtem oder unbelaubtem Baumgeäst aus. Und so wölbt sich der Wald nicht über emporschauenden Betrachtern, sondern unter einem hinab- und hineinschauendem Publikum. Politisch aufgeladen ist wiederum der Materialkasten „Ich denke an…“ von Kyoko Takeuchi (*1958 Chita/Japan). Sie faltete aus Papier Dutzende von Origami-Puppenschühchen und gruppierte diese – in memoriam von Kinderopfern – um das Foto eines kriegszerstörten ukrainischen Klassenzimmers. Interessant: Heute sind sowohl Andrea Viebach wie Kyoko Takeuchi Glaskünstlerinnen.
Kleidung, die wirkt, als wäre sie aus Metall
Fortgeschritten autonom schließlich zeigen sich Dorothea Reese-Heim (*1943 Sindelfingen) und Burga Endhardt (*1961 Günzburg). Erstere, einst Professorin der Uni Paderborn, mit formbewusster freier Kunst in Form von Wand- und Hängeskulpturen auch aus Kozo, dem Papier aus der Faser von Maulbeerbäumen; letztere mit formbewusster freier Kunst in Form von Graphit-Zeichnungen auf Transparentpapier. Während Reese-Heim neun aufgeschlagene und weiß eingeschlagene Lexikon-Bände zu phantastisch „Fliegenden Schriften“ gruppiert und in „Inkrustationen“ ein wohl stark vergrößertes Spiegelbild der Natur in Serie bringt – vermutlich die geschuppten Fühler oder Gliedmaßen von Insekten –, bannt Burga Endhardt Kleider auf durch Wasser gewellt-strukturiertes Transparentpapier. Deren glänzende, dichte Schwärze lässt eher an schwere, metallene Hemden denken als an leichtes Gewebe und durchsichtigen Bildträger. Dass in der schönsten dieser reliefhaften Zeichnungen auch Assoziationen an Flügel, Schwingen und damit an einen Engel geweckt werden, ist schlicht großartig.
Bis 20. Juli. Geöffnet Di bis So, auch feiertags, von 10 bis 17 Uhr.
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