Eine Welt in Trümmern und aus den Fugen, Syrien mitten im Bürgerkrieg. Das Jahr 2014. Mitten auf einer Straße von Yarmouk spielt ein junger Mann Klavier, Musik, wo man sonst vor Gewalt Angst haben muss. Als palästinensischer Flüchtling ist Aeham Ahmad dort in Syrien aufgewachsen. Er hat Musik studiert, aber nach seinem Studium zerstört der syrische Bürgerkrieg jede Chance auf ein geordnetes Musikerleben. Ahmad tritt trotzdem auf, bringt sein Klavier auf einem Anhänger und mit einem Pick-Up-Truck von Platz zu Platz in Yarmouk. Oft hören ihm die Kinder zu. Einmal kommt es zu Schüssen, ein Kind im Publikum stirbt. Die Bilder graben sich tief in Ahmad ein, lassen ihn nicht mehr los, begleiten ihn.
Der Augsburger Autor, Lektor und Lehrer Wolfgang Kemmer hat Ahmad vergangenes Jahr während des Bardentreffens in Nürnberg kennengelernt. Ahmad trat auf, Kemmer hörte zu, schrieb im Anschluss darüber etwas über Ahmads Konzert in den sozialen Medien. Daraus entstand ein erster Kontakt, dann Gespräche, ein gegenseitiges Kennenlernen - und dann auch die Absicht, etwas gemeinsam zu unternehmen. Und tatsächlich: Am Samstag, 29. März, tritt Aeham Ahmad im Jazzclub in Augsburg auf, ein Konzert im Rahmen der Wochen gegen Rassismus, gefördert vom Büro für gesellschaftliche Integration und der Schlosserschen Buchhandlung, zustande gekommen letztendlich aber, weil Ahmad und Kemmer sich begegnet sind.
Wolfgang Kemmer sammelt Flucht-Geschichten
Denn auch Ahmad hat einen Menschen entdeckt, einer der Lebensgeschichten wie die von Ahmad sammelt. Wolfgang Kemmer hat als Lehrer für Deutsch als Fremdsprache in Augsburg auch mit vielen Menschen zu tun gehabt, die aus ihren Heimatländern flüchten mussten. Weil er manche davon näher kennengelernt hat, fing er an, ihre Fluchtgeschichten zu sammeln. Geschichten, die nicht leichtfertig erzählt werden, die wunde, oft traumatische Punkte berühren, Geschichten, die nur offen erzählt werden, wenn ein Verhältnis des Vertrauens besteht. Neun solcher Lebenswege hat Kemmer auf seiner Internetseite meine-flucht.de bereits gesammelt. „Es soll daraus auch ein Buch entstehen“, sagt er, doch das wird noch ein wenig dauern.
Nachzulesen ist dort etwa die Geschichte von Ahmed Ali, der im Irak Studentenproteste angeführt hat, dort aufs Ganze gegangen ist, weil er an einen Rechtsstaat geglaubt hat, weil er gefordert hat, dass die Milizen entwaffnet werden. Er hat auch nicht aufgehört, als er um sein Leben fürchten musste, auch nicht, als er bei einem Angriff mit drei Schüssen auf offener Straße schwer verletzt worden ist. Erst als seiner Familie mit dem Tod gedroht worden ist, hat sich Ahmed Ali zur Flucht nach Europa entschieden.
Wenn der Pianist Aeham Ahmad am Samstag gemeinsam mit Wolfgang Kemmer im Jazzclub Augsburg auftreten wird, wird Kemmer aus Ahmads Autobiografie „Und die Vögel werden singen“ vorlesen. Ahmad hat sich zur Flucht entschieden, als die Kämpfer des Islamischen Staates im April 2015 das Flüchtlingslager Yarmouk eingenommen haben. Bei einer Kontrolle zerstörten sie Ahmads Klavier. Im August 2015 floh er, über die Balkanroute kam er im September 2015 nach Deutschland. Schon im Oktober 2015 bekam er in Bonn den erstmals verliehenen Internationalen Beethovenpreis für Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Armutsbekämpfung und Inklusion verliehen. Es folgten erste Auftritte, dann viele weitere. Er hat sich in Deutschland und Europa ein Leben als Pianist aufgebaut. Kemmer beschreibt, dass Ahmad von Konzert zu Konzert reist, ein Vielbeschäftigter, aber auch ein Ruheloser. Kemmer sagt, dass Ahmad die Bilder aus seiner Heimat nicht los wird, dass er von Schuldgefühle verfolgt wird, weil er es geschafft hat und andere dort ihr Leben verloren haben. Am Samstag kommt all das in Augsburg auf die Bühne des Jazzclubs, musikalisch und in Form einer Lesung.
Karten für das Konzert am Samstag, 29. März, um 20 Uhr gibt es beim Jazzclub Augsburg
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