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Die Ausstellung 'Talk to me': Feministische Kunst und Kraft der Gefühle

Bildende Kunst

Der Kunstverein Augsburg zeigt die revolutionäre Kraft der Gefühle

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    Julia Haugeneder (links) und Magdalena Kreinecker arbeiteten bereits für verschiedene Kunstprojekte zusammen.
    Julia Haugeneder (links) und Magdalena Kreinecker arbeiteten bereits für verschiedene Kunstprojekte zusammen. Foto: Mercan Fröhlich

    Mit dem Wissen verhält es sich wie an einer Kletterwand, findet Julia Haugeneder. Um es sich anzueignen, muss man von Griff zu Griff schwingen, in Bewegung bleiben, bereit für Umwege sein. Eine Wand im Kunstverein Augsburg hat die Wiener Künstlerin deshalb mit blauem Seidenpapier tapeziert und mit Klettergriffen aus Buchbinderleim versehen.

    Wie wir Wissen aufrechterhalten, das wir schon erschlossen haben, fragt die Ausstellung „Talk to me“ im Kunstverein Augsburg sich und die Besucher. Bis zum 13. Juli stellt Haugeneder gemeinsam mit der Linzerin Magdalena Kreinecker Objekte aus Holz, Linoleum und in Buchbinderleim getränktem Seidenpapier aus. Die beiden Künstlerinnen greifen dabei auf Ideen der Frauenbewegung der Siebzigerjahre Jahre zurück und wollen sich doch von althergebrachtem Wissen lösen.

    „Talk to me“ im Augsburger Kunstverein: Privates ist politisch

    Besonders in feministischen Kreisen gelten theoretische Werke nach wenigen Jahren als veraltet, erzählt Julia Haugeneder: Spät habe sie deshalb von Consciousness-Raising Groups der Siebzigerjahre erfahren. Selbstorganisierten Frauengruppen teilten in Gesprächskreisen persönliche Erfahrungen, um sie zum Ausgangspunkt für politisches Handeln zu machen. Indem sie das Politische im Privaten suchten, wollten sie gesellschaftlichen Wandel anstoßen. Diese gemeinsame Bewusstseinsbildung wollen Haugeneder und Kreinecker ins Heute holen und als Kunstschaffende dran teilhaben. Haugeneder studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien Grafik und druckgrafische Techniken. Sie stellte unter anderem im Museum der Moderne in Salzburg aus. Da sie auch Kunsthistorikerin ist, verwebt sie in ihren Arbeiten kunsthistorische Bezüge mit aktuellen Phänomenen.

    Das feministische Erbe soll in der Ausstellung von den Besucherinnen und Besuchern selbst debattiert werden: Auf setzkastenartigen Tischen gibt es neuere und ältere Theorietexte zum Schmökern, eine spielerische Wissensaneignung, wie Kreinecker das nennt. Die Tische hat sie selbst entworfen. Die Linzerin studierte Bildende Kunst, Grafik und Druckgrafik ebenfalls an der Angewandten in Wien. Ihre Werke waren unter anderem im Belvedere 21 in Wien und im Studio der Neuen Galerie Graz zu sehen. Die Tische waren schon Bild, Türverkleidung und sind nun Tisch geworden. Wie in feministischen Gesprächskreisen sollen sie den Ort für Debatte und Austausch stellen.

    Augsburger Kunstverein bringt mit „Talk to me“ feministische Kunst

    An der Treppe hängen Poster mit Fragen, die feministische Denkerinnen damals wie heute diskutieren: „Wie fühlst du dich im öffentlichen Raum? Wer kümmert sich um dich und um wen kümmerst du dich? Wann hattest du zuletzt einen Tag frei von Sorgearbeit?“ Fragen, die Gefühle analysieren und darin Symptome für strukturelle Ungleichheit erkennen. Und Beziehungen zum Spiegel gesellschaftlicher Schieflage erklären. Keine Frage: Die Ausstellung von Haugeneder und Kreinecker will das Private politisch verhandeln und atmet die Tradition feministischer Kunst der Siebzigerjahre in fast jedem Objekt.  

    Dass althergebrachtes Wissen aber auch gesellschaftliche Rollen zementiert, ist die andere Seite. Haugeneder verbrachte einige Wochen im Jahr bei ihrer Großmutter, die habe sie zu einer „funktionalen Frau“ erziehen wollen, wie sie sagt. Die Spuren dieser „nicht emanzipatorischen Erziehung“ hat Haugeneder in ein Linoleum-Objekt im Eingangsbereich eingearbeitet: „Talk to me“ steht dort in blauen Buchstaben, dazu die originale Tapete aus der Wohnung ihrer Oma in Puffpaste aufgespritzt. Den Schriftzug begleiten Notenlinien, die immer wieder unterbrechen. Auch wenn das transgenerationale Gespräch stockt, es überdauert. Dem Wissen der Vorfahren ist nicht zu entkommen.  

    Auch die Räume im Kunstverein haben Haugeneder und Kreinecker zum Teil der Ausstellung gemacht. Eine Woche etwa dauerte es, sich dort einzurichten. An den Wänden hängen Vorhänge aus Buchbinderleim und Seidenpapier, Julia Haugeneder und Magdalena Kreinecker haben sie gemeinsam hergestellt. Mit den Vorhängen entsteht in den Ausstellungsräumen der Eindruck von Privatheit: Der private Raum dient der Selbstbefragung, Privatheit ist Schauplatz von Gefühlen. Aber Privatheit ist auch Ort der Zurichtung, wie Haugeneder das nennt. Die Vorhänge beginnen im Erdgeschoss in milchigem Weiß, um dann im letzten Raum in starker undurchlässiger Farbe den Raum abzudunkeln. Ein „Overkill“, sagt Haugeneder. Man könnte auch sagen: die revolutionäre Kraft privater Gefühle.

    „Talk to me“ läuft noch bis zum 13. Juli im Kunstverein Augsburg, Vorderer Lech 20. Künstlerinnenführungen gibt es am 15. Mai, um 18 Uhr sowie am 5. Juli, um 17 Uhr.

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